Bochum. . Ibrahim Barho floh vor dem Bürgerkrieg aus Syrien über den Irak nach Bochum und holte die Familie nach. Das Einleben werde besser.
In Bochum heißen Puppen jetzt Maloki. Berfins Freundinnen haben ihre so getauft, weil die Dreijährige eine „Maloki“ hat: Die Kinder glaubten, das sei das syrische Wort für Puppe. Dabei ist es nur der Name des Babypüppchens, an dem die kleine Berfin sich festhält, seit sie in Deutschland ist. Und überhaupt gibt es ja gar keine Sprache, die „Syrisch“ heißt. Mala Hjali und Ibrahim Barho, Berfins Eltern, sprechen kurdisch. Und deutsch, jeden Tag ein bisschen besser.
Berfin kennt den Unterschied nicht. Neulich hat sie „dunkel“ gesagt, mitten in einem kurdischen Satz; es fühlte sich wohl falsch an darin, jedenfalls hat Berfin, sagt ihre Mutter, sehr fragend geguckt. Den Unterschied zwischen „ihren“ beiden Ländern aber spürt Berfin wohl. Neun Monate war sie erst alt, als der Vater Ehefrau und Tochter nach Bochum holen durfte, wo er seit 2015 wohnt. „Sie hat so viel geweint“, sagt Mala, und „sich selbst gehauen“. Vielleicht deshalb: Zuhause war immer viel Familie um das Baby herum, in Bochum „waren wir auf einmal allein“.
Die zweite Flucht für Vater Ibrahim
Für Ibrahim Barho, 29, war es schon die zweite Flucht. Aus Syrien war er geflohen vor dem Bürgerkrieg in die kurdischen Gebiete des Irak, dann kam auch dort der IS. „Ich dachte“, sagt er heute, „das wird bestimmt wie in Syrien, der Krieg wird größer und größer.“ Und seine Frau war schwanger. Ibrahim hatte es gut gehabt in der Heimat, er hatte studiert und als Ingenieur gearbeitet. „Hauptsache, dass ihr lernt und studiert“, hatte der Vater gesagt. „Ihr dürft nicht glauben, dass Geld von allein zu euch kommt“, mahnte die Mutter.
Und so ist Ibrahim geworden: einer, der lernt und arbeiten will. Erdöltechnik war sein Fach; Deutschland braucht Ingenieure wie ihn, aber nicht für Erdöl. Also lernte Ibrahim die Sprache, ein Jahr lang, jetzt studiert er „Energie-Effizienz“ in Brandenburg, er bekommt Bafög und will bald seinen Master machen. „Alle reden von Energie, aber der Einstieg ist schwierig.“ Vor der Masterarbeit muss der Familienvater ein Praktikum machen, aber Bewerbungsgespräche sind neu für ihn: „In Syrien bekommt man einen Job von der Regierung.“ Und diesmal will er in der Nähe seiner Familie bleiben.
Zwei Jahre kein Deutsch für Mama Mala
Mala und Berfin sind genug allein gewesen in der Wohnung, die Ibrahim mit gebrauchten Möbeln eingerichtet hat. Nur im Kinderzimmer sieht alles neu aus. Und alles rosa. Berfin ist nicht allzu oft dort, sie geht in den Kindergarten, und Mama Mala, studierte Wirtschaftswissenschaftlerin, macht endlich einen Sprachkurs. Zwei Jahre musste sie warten, nun hat sie ein Stipendium an der Uni Dortmund. „Zwei Jahre kein Deutsch, keiner zum Reden, es war anstrengend“, sagt Mala, 30. Wie oft hat sie sich gefragt: „Schaffe ich das?“ Es wird besser, sagt Ibrahim. „Und nächstes Jahr wird es noch besser.“
Manchmal denkt Mala, „dass ich zurückkehre“, irgendwann, wenn der Krieg vorbei ist, aber dann sieht sie türkische Nachbarn und die Debatte um deren Integration: „Viele Türken sagen immer noch, sie gehen zurück. Aber so kann man sich nicht integrieren.“ Das aber wollen die Barhos, schon wegen Berfin: „Kinder integrieren sich auf jeden Fall, sie gehen zur Schule, lernen deutsch“, sagt Ibrahim. „Und dann finden sie ihre Eltern fremd.“ Schon deshalb ist Mala ihr Sprachkurs so wichtig: „Wenn ich zuhause bleibe, lerne ich nichts, so kann ich meiner Tochter nicht nützen.“ Sie wissen, dass sie noch Zeit brauchen, sie hoffen, dass alles besser wird, „wenn man arbeitet“.
„Deutschland ist mehr Stress“
Manchmal, sagen sie aber auch, macht Deutschland es ihnen nicht leicht. Alles muss schnell gehen, vor allem Integration, aber dann lässt man sie auf Sprachkurse warten. „Deutschland ist mehr Stress“, sagt Ibrahim. Dann denkt er, die Leute wollen keinen Kontakt oder finden: „Syrer sind dumm“. Dabei weiß er, dass das wohl an der Sprache liegt, „ich weiß die Antworten, ich kann sie nur noch nicht gut sagen“. Von Studienkollegen hat er „schöne Sätze“ gelernt, dafür hat er ihnen in Mathe geholfen.
Aber natürlich haben auch die Barhos gemerkt, dass die „Stimmung gekippt“ ist. Sie sagen das so, wie es in der Zeitung steht, sie haben den Ausdruck so gelernt: Die Deutschen sind nicht mehr so offen gegenüber den Flüchtlingen. Ibrahim hatte das geahnt. „Ich habe immer gesagt, ich kenne meine Leute. Da kommen auch schlechte Menschen.“ Wenn er heute etwas liest von Syrern, „die was Schlimmes machen, das ekelt mich“. Dann will er sich noch mehr integrieren, dann sagt er Sätze wie: „Nicht alle Flüchtlinge sind schlimm“ oder „Ich fühle mich wie jeder Deutsche“ oder „Meine Tochter ist wie allen anderen Kinder“.
Berfin hat noch eine zweite Puppe, sie ist blond und heißt Lelli. Und sie hat ein Pixie-Buch, das sie liebt: „Lilli findet neue Freunde“.
>>> SYRISCHES EHEPAAR WILL VORURTEILE ABBAUEN
Bei Vasilina und Beshwar Derki in Mülheim besteht das deutsche Leben bislang aus viel Warten. Ein Jahr und acht Monate hat es gedauert, bis das syrische Ehepaar einen Aufenthaltsstatus hatte, aber ohne den kein Sprachkurs. Und: „Ohne Deutsch kann man keine Wohnung suchen.“ Die Derkis hatten Hilfe, unter anderem von Menschen, die sie „Oma und Opa“ nennen, obwohl sie Rosi heißen und Karl-Heinz. Sie haben gutes Deutsch gelernt, auch weil sie sich im Verein engagiert haben, aber derzeit warten sie wieder: auf den Sprachkurs B2. Die 30-Jährige und der 36-Jährige, Eltern von zwei Kindern, die sie manchmal auslachen wegen ihres Akzents, brauchen aber C1. Um ein Praktikum zu machen in dem Beruf, den sie in Syrien jahrelang ausgeübt haben; Sie sind beide Apotheker. Ein Jahr müssten sie Praktikanten sein, die Arbeitsagentur hat ihnen diesen Weg nahegelegt, und Vasilina sagt: „Wir sind sicher, dass wir das schaffen!“ Nur, es dauert.
Aber die Derkis wollen „arbeiten und Steuern bezahlen“. Und nicht wieder zurück in das Land, wo sie Beshwar im Gefängnis gefoltert haben. „Wir wollen Deutsche sein“, sagt Vasilina. Schon weil Deutschland für Tochter (7) und Sohn (2) „Heimat“ bedeute. „Sie wachsen hier auf, sie haben so viele Möglichkeiten. Wenn meine Tochter tanzen will, dann darf sie tanzen. Wenn sie singen will, singt sie.“ Beshwar versteht, dass Deutsche Angst vor zu vielen Ausländern haben, er weiß, dass auch unter den Syrern „nicht nur gute Menschen gekommen sind“. Aber „ich bin sicher, in fünf, sechs Jahren haben sie eine andere Meinung von uns“.