Mülheim. Nach der Einigung in den Verhandlungen zum Stellenabbau bei Siemens Energy nehmen die Betriebsratschefs Stellung. Wie sie die Zukunft beurteilen.
Was bleibt, ist die Unzufriedenheit nach der Einigung zum Stellenabbau bei Siemens Energy, daran lassen die beiden Betriebsratsvorsitzenden Jens Rotthäuser und Dieter Kupferschmidt keinen Zweifel. Man habe sich zwar darauf geeinigt, wie die insgesamt 677 Stellen am Mülheimer Standort bis 2025 abzubauen sind, die Verhandlungen aber seien gekennzeichnet gewesen von hartem Ringen und wenig Spielraum. Jetzt blicken die Betriebsratsvorsitzenden darauf, wie es weitergeht.
Als „zähe Beratungen“ beschreibt Dieter Kupferschmidt, Betriebsratschef der Servicesparte, die Sitzungen in der Einigungsstelle. Diese war im Sommer einberufen worden, weil die Verhandlungen über den Jobabbau zwischen Gesamtbetriebsrat und Management von Siemens Energy zuvor gescheitert waren.
Harte Verhandlungen zwischen Siemens-Energy-Management und Gesamtbetriebsrat
Von echten Verhandlungen auf Augenhöhe wollen die beiden Betriebsratsvorsitzenden gar nicht sprechen. Letztlich sei man an den Punkt gelangt, an dem man abwägen musste: Einigung oder nicht Einigung – mit all den Konsequenzen, schildern die Betriebsratschefs. Rotthäuser stellt klar: „Keine Einigung hätte für die Belegschaft deutlich härtere Einschnitte bedeutet als das, was wir jetzt erreicht haben.“
Von den zuerst veranschlagten 700 Stellen bei der Reduzierung am Mülheimer Standort bleiben 677, die bis Ende 2025 abgebaut werden müssen. Sicher hätten sich die Betriebsratsvorsitzenden einen deutlicheren Unterscheid zu ihren Gunsten gewünscht, doch das sei aussichtslos gewesen: „Da hat der Arbeitgeber dicht gemacht“, berichten Jens Rotthäuser und Dieter Kupferschmidt.
Man müsse aber das Gesamtpaket im Blick halten: Über 3000 Stellen sollten deutschlandweit eingespart werden, auf die Summe von 2567 haben sich Gesamtbetriebsrat und Management von Siemens Energy nun einigen können. „Wir haben über 400 Stellen deutschlandweit eingespart“, sagt Rotthäuser, räumt aber ein: „Von erfolgreichen Verhandlungen können wir nicht sprechen. Kulturell war da eine Kühle von Seiten des Arbeitgebers, die wir aus der Vergangenheit nicht kennen.“ Dieter Kupferschmidt fügt an: „Die künftige Zusammenarbeit mit dem Management wird schwierig angesichts der Erfahrungen, die wir nun in diesen Verhandlungen gemacht haben.“
Mülheimer Standort kann vom Kuchen, um den 17 Standorte buhlen, einiges abgreifen
Immerhin: Man könne gerade für die Ruhrstadt mit dem Standort an der Rheinstraße Zugeständnisse verbuchen. „Wir haben vor allem für Mülheim von einem Kuchen an Zukunftsthemen, um den 17 Standorte in ganz Deutschland buhlen, ein paar Themen abgreifen können“, schildert Rotthäuser eine Perspektive für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Wichtig für die Belegschaft ist es zu wissen, auf was man hinstreben kann.“
Am Mülheimer Standort werde schon seit längerem unter der Überschrift des Kompetenzzentrums für Energiewendetechnologie agiert, um den Wandel aktiv mitzugestalten. Jetzt seien Inhalte schwarz auf weiß festgehalten worden, heben Rotthäuser und Kupferschmidt positiv hervor und nennen Beispiele wie die Produktverantwortung für den Bereich der sogenannten Phasenschieber für eine Netzfrequenz von 50 Hertz und 60 Hertz, die der Stabilität von Stromnetzen dienen, Hochtemperatur-Wärmepumpen, Speichertechnologien sowie die Wasserstofftechnologie mit dem Schwerpunkt Elektrolyse mit dem dazugehörigen Service.
Große Hoffnungen setzen die Betriebsratschefs auf das ausgehandelte Qualifizierungsmanagement
Auch das Kerngeschäft mit Dampfturbinen und dem angeschlossenen Service laufe nach wie vor, so Jens Rotthäuser, doch genau auf dem Feld wandele sich der Markt und damit auch die Kundenansprüche. „Beim Kohleausstieg ist unser Standort mit am stärksten betroffen, umso mehr sind wir auch auf neue Themenfelder angewiesen“, verdeutlicht der Betriebsratschef.
Auf ihrer Habenseite verbuchen die Betriebsratsvorsitzenden das Zugeständnis des Managements, eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum Qualifizierungsmanagement zu schließen und einen Rahmensozialplan aufzusetzen. Über die Qualifizierung sollen neue Jobs, die sich aus dem Wandel ergeben, intern besetzt werden können. Rotthäuser betont dabei: „Dafür brauchen wir auch das Klientel, das zum Wandel bereit ist.“ Hoffnung liegen auch auf dem internen Siemens-Energy-Zukunftsfonds, aus dem finanzielle Unterstützung zu erwarten sei.
Halbjährlich sollen während der Restrukturierung Fortschrittsgespräche geführt werden
Eine weitere wichtige Komponente aus den Ergebnissen der Verhandlungen sei es, halbjährlich Fortschrittsgespräche zu führen, erklärt Dieter Kupferschmidt und verdeutlicht die Fragestellung: „Wo stehen wir in den Prozessen, die angedacht sind, um abzubauen – kommen die auch? Wir müssen ein Auge darauf haben, ob das, was das Management in Sachen Arbeitsplatzabbau angekündigt hat, auch funktioniert.“ Denn eines sei vordringlich: „Wir dürfen unser Geschäft nicht noch mehr zerschlagen, nicht noch mehr auslagern an Dritte oder ins Ausland, um keinen Knowhow-Verlust zu erleiden.“
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Nahezu grotesk mute der Stellenabbau angesichts der aktuell guten Auftragslage an, sagen die Betriebsräte. „Wir haben locker für zwei Jahre einen guten Auftragseingang“, skizziert Kupferschmidt und spricht von einem enormen Spagat auf der einen Seite abbauen zu müssen und auf der anderen Seite die Motivation der Mitarbeiter hochzuhalten. Vom Management hieße es zwar, kein Auftrag solle durch den Stellenabbau gefährdet werden. „Man muss sehen, was nach zwei Jahren daraus geworden ist“, sagt Kupferschmidt und schickt in Richtung der Unternehmensleitung die klare Erwartungshaltung, dass die neu vereinbarten Themen, die den Standort Mülheimer sichern sollen, auch „eins zu eins umgesetzt werden, wie wir sie festgeschrieben haben“.
Betriebsräte fordern: Fokus nicht nur auf den Abbau legen
Dabei denkt der Betriebsrat vor allem an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bei denen er eine große Verunsicherung registriert. Um Vertrauen zurückzugewinnen, das tief erschüttert sei durch die zurückliegenden Kürzungsrunden, fordert er, den Fokus nicht nur auf den Abbau zu legen, sondern auf die Perspektivthemen.
„Weit über 90 Prozent der Bereiche am Mülheimer Standort sind von der Restrukturierung betroffen“, macht Jens Rotthäuser deutlich. Ausgedünnt werden solle auf nahezu allen Ebenen, etwa auch bei Führungsfunktionen. Was bleibt, verdeutlichen die Betriebsratsvorsitzenden, sei die Enttäuschung: „Der Mensch kommt in der Summe zu kurz.“