Mülheim. Nach dem Scheitern der Verhandlungen über den Jobabbau sprechen die Betriebsratsvorsitzenden über den Standort Mülheim.

Die Verhandlungen über den Jobabbau bei Siemens Energy sind gescheitert – das war Anfang Juli bekannt geworden. Jetzt geht die Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung der Stellenkürzungen in eine Einigungsstelle. Was das bedeutet und wie die nächsten Schritte sind, darüber haben die Betriebsratsvorsitzenden Jens Rotthäuser und Dieter Kupferschmidt kürzlich die Belegschaft informiert. Was bleibt – auf unbestimmte Zeit – ist die Ungewissheit, die mangelnde Zukunftsperspektive – ein ungutes Gefühl für alle, sagen die Betriebsräte.

Betriebsrat: Es gab zu wenige Kompromisse, um die Verhandlungen abzuschließen

„In einigen Punkten konnten wir Kompromisse schließen, teils sind die roten Linien aber auch überschritten“, skizziert Dieter Kupferschmidt, Betriebsratschef der Servicesparte, die Verhandlungen um die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsplatzabbaus. Die Zahl der errungenen Kompromisse hat nicht gereicht, um die Verhandlungen im Sinne von Gesamtbetriebsrat und Management von Siemens Energy abzuschließen. Das Verfahren geht nun vor eine Einigungsstelle.

Wann diese zum ersten Mal zusammentritt, wann gar mit Ergebnissen zu rechnen ist – all das ist völlig offen. „Wir haben derzeit kein Gefühl für die Zeitschiene“, sagt Kupferschmidt. Immerhin, der Leiter der Einigungsstelle, der als neutraler Moderator fungieren wird, sei bereits gefunden. „Wir haben jemanden vorgeschlagen, die Firmenleitung hat die Person akzeptiert“, schildert der Betriebsratsvorsitzende.

Einigungsstelle muss Unmengen von Unterlagen sichten

Jetzt aber fange die Arbeit erst an: Damit der Einigungsstellenleiter schließlich irgendwann eine Lösung vorlegen kann, müsse er sich in Unmengen von Unterlagen einarbeiten, um sich ein Bild zu verschaffen. Denn Siemens Energy mit seinen verschiedenen Sparten sei sehr divers, der Mülheimer Standort mache da keine Ausnahme, unterstreicht Jens Rotthäuser, Betriebsratsvorsitzender von Siemens Energy in Mülheim.

Die einzelnen Bereiche litten unter unterschiedlichen Nöten, hätten verschiedene Absprunghöhen, wie Rotthäuser es formuliert. „Da gibt es Bereiche, die sind mit Fragezeichen versehen, was den Stellenabbau anbelangt, bis hin zu Bereichen, die komplett dicht gemacht werden.“ Allen gerecht zu werden, jeden zufriedenzustellen, sei beinahe unmöglich und habe auch bei der Mitarbeiterinformation, die Mitte Juli stattgefunden hat, sicher nicht geklappt.

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Doch auch die Betriebsräte sind alles andere als zufrieden – sie sehen, dass das Verfahren nun noch mehr in die Länge gezogen wird, für die Mitarbeiter eine weitere Durststrecke entsteht. Denn seit Jahren erlebe der Mülheimer Siemens-Standort Umbrüche. „Alle drei Jahre gibt es eine Restrukturierung“, schildert Rotthäuser. Eine Konstante sei da schwer auszumachen, den Mitarbeitern eine Marschrichtung nicht leicht zu vermitteln, sagen die Betriebsräte. Was nicht ohne Folgen bliebe, hat Dieter Kupferschmidt beobachtet: „Das ist brutal, wir verlieren hier richtig gute Leute.“

Betriebsräte: „Wir müssen in Mülheim vor allem auch auf Brückentechnologie setzen“

Dabei könne bei Siemens an der Rheinstraße jede Hand und jeder Kopf gebraucht werden, sind die Betriebsratsvorsitzenden sicher. Denn am Mülheimer Standort bieten sie das, was mittel- und längerfristig fürs Gelingen der Energiewende gebraucht wird – die viel beschworene Brückentechnologie für die Umstellung von der Kohlekraft hin zu umweltfreundlichen Technologien zur Energiegewinnung, etwa durch Wasserstoff. Denn eines sei klar, so Kupferschmidt: „Den Schalter einfach umlegen und eine neue Technologie anknipsen, das geht nicht.“

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Den Übergang, forsch-modern „Transformation“ genannt, mitzugestalten, müsse oberstes Ziel von Siemens Energy sein, fordern die Betriebsratsvorsitzenden sowie auf die Zukunftsfelder zu setzen, die sich eröffnen, wenn der Konzern den Ausstieg aus der Kohlekraft hin zur CO-Neutralität mitgehe. Bei der Netzstabilität sei man in Mülheim schon „ein, zwei Schritte weiter“, so Rotthäuser, der auf den weltweit wachsenden Strombedarf verweist. Auch das Service-Geschäft sei ein Bereich, auf den man in Zukunft setzen solle. Immerhin wolle man an der Rheinstraße den Begriff des Kompetenzzentrums für Energiewende-Technologien mit Leben füllen.

Betriebsrat hofft auf das Zutrauen des Managements in die Fähigkeiten des Standorts

„Unser aktuelles Portfolio ist nicht morgen vorbei“, so Kupferschmidt. Dampf lasse sich nicht nur aus Kohle erzeugen, die Nuklearanwendung müsse mitbedacht werden. „Wir dürfen nicht abbauen oder verlagern, sondern müssen die vorhandenen Kompetenzen hier nutzen, um neue Technologien entwickeln zu können und somit helfen, CO2-neutraler zu werden“, formuliert es Kupferschmidt. Den Willen zur Veränderung, die Wandlungsbereitschaft, fordern sie nicht nur vom Management, sondern auch von der Belegschaft. „Es gibt da neue Dinge, die man ausprobieren muss“, macht Rotthäuser Mut.

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Siemens Energy gehe – gerade am Standort Mülheim – schon gute Wege mit seinem Innovationsfonds, mit dem unter anderem Projekte zur Dekarbonisierung gefördert werden. Kupferschmidt rät dabei zu Geduld: „Viele der Felder müssen erst noch wachsen, bis sie Gewinne abwerfen und so Personal sichern.“ Nicht nur da hoffe man auf das Zutrauen des Managements in die Fähigkeiten des Standorts.

Eine neue Dimension hat laut Rotthäuser die Größe des Einschnittes von 700 Stellen

Ziemlich gespannt ist der Geduldsfaden dagegen nicht nur bei den Betriebsräten durch die Verzögerung der Verhandlung. Erstmals habe in all den Jahren des wiederholten Stellenabbaus nun eine Einigungsstelle einberufen werden müssen. „Das ist ungewohnt“, sagt Rotthäuser, klar sei aber bereits jetzt: „Die Belegschaft wartet lange“. Eine neue Dimension hat laut Rotthäuser die Größe des Einschnittes – mit der Zahl 700 beim Jobabbau habe niemand gerechnet. Der Druck sei gewachsenen, seitdem Siemens Energy nicht mehr eigenständiges Unternehmen, sondern als Konzern an die Börse gegangen ist.

„Entweder man sitzt die Situation aus und lässt sich verändern, oder man gestaltet mit“, sagt Dieter Kupferschmidt dazu. Zu letzterem seien die Mülheimer Mitarbeiter bereit, daran lassen die Betriebsräte keinen Zweifel. Was sie fordern ist ein Zielbild, auf das die Belegschaft zustreben kann.