Oberhausen. Das Projekt „Guter Lebensabend NRW“ fördert kultursensible Angebote. Und: Es will die Lebensleistung von eingewanderten Senioren würdigen.
„Guter Lebensabend NRW“ hat das Landes-Ministerium für Integration ein Modellprojekt genannt, bei dem es darum geht, die Angebote im Bereich der Altenhilfe und Altenpflege kultursensibel zu gestalten – mit dem Ziel, dass Senioren mit Einwanderungsgeschichte im selben Maße erreicht werden wie die so genannte Mehrheitsgesellschaft. Zusammen mit zwanzig anderen Kommunen darf auch Oberhausen aus dem Fördertopf schöpfen und kann nun bis Ende 2022 erproben, wie Zugangsbarrieren abgebaut werden können.
„Wir fragen uns schon, wo die alle sind“, beschreibt Jeldrik Stein, der als Integrationskoordinator der Stadt das Projekt leitet, eine der Ausgangsüberlegungen des Teams. Gemeint sind all die älteren Oberhausener mit Einwanderungsgeschichte, die es nachgewiesenermaßen gibt – 13,8 Prozent in der gesamten Stadt, in einzelnen Stadtteilen noch viel mehr – und die nur sporadisch in Altersheimen, Tagespflegeeinrichtungen oder bei vielen anderen Angeboten für Senioren in Erscheinung treten.
Die Jungen kümmern sich um die Alten – noch
Ein paar Erkenntnisse liegen schon vor: „Der familiäre Rückhalt ist in dieser Gruppe sehr groß“, sagt Jeldrik Stein über die zumeist aus der Türkei, aus Polen und Italien stammenden Frauen und Männer. Das Problem: Auch hier verändern sich die Dinge, steigt zum Beispiel der Anteil an berufstätigen Frauen, die zum größten Teil die Pflegearbeit übernehmen. Auch hier schafft der demografische Wandel viel mehr alte als junge Menschen. Und auch die Nachfahren von Türken, Polen und Italienern ziehen immer häufiger in andere Städte, um dort zu studieren oder zu arbeiten. Stein: „Das heißt, dass das familiäre Pflegepotenzial abnehmen wird. Irgendwann wird das nicht mehr funktionieren.“
Bustour zu Unterstützungsangeboten
Die drei Projekt-Mitarbeitenden waren in den vergangenen Monaten Pandemie-bedingt zunächst damit beschäftigt, sich einen Überblick zu verschaffen und Kontakte zu knüpfen, auch zu Migrantenorganisationen. Doch erste Fortbildungen für Beschäftigte im Bereich Altenpflege und Altenhilfe sollen noch in diesem Jahr starten.Für ältere Oberhausener mit Einwanderungsgeschichte soll es im November ein erstes Angebot geben: Per Bus werden Interessierte zu unterschiedlichen Unterstützungsangeboten gefahren und können diese dann kennenlernen. Falls es gut ankommt, sollen 2022 weitere „Bustouren“ folgen.
An einigen Stellen könne man schon jetzt feststellen, dass ein großer Beratungsbedarf herrscht, sagt Jeldrik Stein, der im Kommunalen Integrationszentrum (KI) arbeitet. So zum Beispiel im Osterfelder Büro des Vereins Pro Wohnen International, seit 2019 eines der Quartiersbüros, die von der Stadt gefördert werden. Naheliegend, dass eine der drei Stellen, die mit dem NRW-Fördergeld geschaffen werden konnten, hier ansässig ist. Neben dem KI (Jeldrik Stein) gibt es eine weitere beim Deutschen Roten Kreuz.
Wie fühlt es sich an, zur Minderheit zu gehören?
Die beiden so genannten kultursensiblen Seniorenberaterinnen haben ein umfangreiches Aufgabenpaket: Sie sollen Einrichtungen und Dienste für die Bedürfnisse von Seniorinnen und Senioren mit Zuwanderungsgeschichte sensibilisieren, niederschwellige Angebote zur Vermittlung von Informationen konzipieren, ein Schulungsangebot zur Förderung interkultureller Kompetenzen entwickeln und kultursensible Materialien für soziale Angebote schaffen. Was zunächst noch sehr theoretisch klingt, macht Integrationskoordinator Jeldrik Stein mit Beispielen greifbar: „Es gibt große kulturelle Unterschiede. Bei manchen gehört es sich nicht, die Hand auf den Kopf zu legen.“ Auch müssten Mitarbeitende in Übungen zunächst ganz grundlegende Einsichten gewinnen. Zum Beispiel: „Wie fühlt es sich an, wenn man nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft ist?“
Separate Angebote wären nur die zweitbeste Lösung
Zwei Jahre läuft das vom Land geförderte Modellprojekt – für das laufende Haushaltsjahr wurde eine Zuwendung in Höhe von rund 100.000 Euro bewilligt; für 2022 muss ein Folgeantrag gestellt werden. „In dieser kurzen Zeit“, sagt Jeldrik Stein, „kann man die Welt nicht verändern.“ Was man jedoch tun könne, sei, modellhaft zu erproben, was man später ausweiten und fortführen kann.
Und wenn dann die Notlösung lauten sollte, dass es separate Angebote geben muss, dann sei dies eben so, sagt Stein: „Auch wenn natürlich das Ziel lautet, alle Einrichtungen für alle zu öffnen.“ Man dürfe jedoch nicht vergessen, dass noch etwas anderes im Fokus von „Schöner Lebensabend NRW“ stehe: die Sache mit der „Anerkennung der Lebensleistung“, die das Ministerium explizit in die Projektbeschreibung aufgenommen hat. Und das sei nicht nur sympathisch formuliert, findet Jeldrik Stein: „Es ist auch mal ein ganz neuer, anderer Gedanke zu dem Thema und bringt die Sache gut auf den Punkt.“