Berlin. Die Industrie versteckt immer mehr Zucker in allen möglichen Lebensmitteln. Verbraucher können die heimlichen Süßmacher kaum mehr erkennen. Sie verstecken sich hinter anderen Namen und sind missverständlich gekennzeichnet. Selbst pikantes Essen mutiert mittlerweile zur Zuckerbombe.
Für die Süßwarenhersteller war Ostern wieder ein Freudenfest. Mehr als 200 Millionen Schoko-Hasen und gut acht Prozent mehr als im Vorjahr wurden dieses Jahr in Deutschland produziert, frohlockt der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI). Das hat nach Einschätzung des Verbandes zwar vor allem damit zu tun, dass Ostern dieses Jahr sehr spät war und die Osterhasen länger in den Regalen zum Kauf animierten.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird den österlichen Schokoladen-Rekord dennoch besorgt zur Kenntnis nehmen. Anfang März erst hatte sich die WHO dazu entschlossen, ihre Empfehlungen für den Zuckerverzehr deutlich zu verschärfen. Statt wie bislang zehn Prozent des täglichen Energiebedarfs sollen Kinder und Erwachsene nach einem Richtlinienentwurf künftig nur noch fünf Prozent ihrer Kalorien über Zucker zu sich nehmen.
Der goldene Windbeutel 2013
Bis dahin ist es indes noch ein weiter Weg: Schon heute essen die Deutschen rund 98 Gramm Zucker am Tag – und damit doppelt so viel wie empfohlen. Weltweit hat sich der Zuckerkonsum in den letzten 50 Jahren verdreifacht, immer mehr Menschen leiden an Diabetes, Karies oder Herz-Kreislaufstörungen. Künftig sollen es nach der Empfehlung der WHO deshalb nur noch 25 Gramm Zucker am Tag sein – weniger als eine Dose Cola.
Zuckergehalt wird oft verschleiert
Aber nicht nur Naschkatzen haben es schwer, ihren Zuckerkonsum zu reduzieren. In den meisten ganz normalen Lebensmitteln im Supermarktregal verstecken sich heute Zuckerzusätze. „Die Bezeichnungen für Zucker sind vielfältig – und deshalb für Verbraucher nicht gleich ersichtlich“, sagt Gabriele Kaufmann, Ernährungswissenschaftlerin beim Bonner Informationsdienst aid.
So decken Sie Zuckerfallen auf
Viele Hinweise zur gesunden Ernährung und speziell zu Zucker in Lebensmittel finden sich auf der Seite www.ampelcheck.de der Verbraucherzentralen.
Die Verbraucherschützer haben zusätzlich eine App für iPhone und Android entwickelt, die ein Lexikon über die Vielzahl der Süßmacher enthält. Die App ist im Google Play-Store und im Apple-Store mit dem Suchwort „Süßmacher“ zu finden.
Der aid aus Bonn (www.aid.de) hat eine Broschüre zum Thema „Zucker, Sirupe, Honig, Zuckeraustauschstoffe, Süßstoffe“ veröffentlicht (Preis: 4 €)
Verbraucherschützer bestätigen den Trend zu immer mehr versteckten Süßmachern. In einem bundesweiten Markttest fanden die Verbraucherzentralen letztes Jahr in 276 untersuchten verarbeiteten Lebensmitteln offene und versteckte Zuckerstoffe.
Ob in Getreideprodukten, Getränken, Milchprodukten, Süßwaren, aber auch in pikanten Lebensmitteln – überall steckt zuhauf Zucker drin und immer öfter verschleiert die Lebensmittelindustrie offenbar den wahren Zuckergehalt.
„Die Anzahl der Süßmacher hat deutlich zugenommen“, sagt Silke Schwartau, Ernährungsexpertin bei der Verbraucherzentrale Hamburg. „Für Verbraucher ist das manchmal wie eine Black Box.“ Denn neben echtem Zucker hat die Verbraucherlobby 70 weitere zuckerähnliche Süßmacher in den untersuchten Lebensmitteln entdeckt. Ohne dass Kunden das im Supermarkt sofort identifizieren könnten. Nicht jeder weiß zum Beispiel, dass Maltodextrin, Inulin oder Dicksaft den gleichen Effekt auf den menschlichen Organismus haben wie Zucker.
Foodwatch fordert bessere Kennzeichnung
Warum aber versteckt die Lebensmittelindustrie soviel Zucker in Ihren Produkten? „Zucker ist Geschmacksträger und Konservierungsmittel“, erläutert aid-Expertin Kaufmann. Und relativ billig: Zucker oder vergleichbare Süßmacher müssten sonst in der Produktion durch andere, teurere Rohstoffe wie etwa Früchte ersetzt werden. „Der Anteil der versteckten Zucker ist in den letzten Jahren weiter gestiegen – und wird von der Zuckerlobby verschwiegen“, sind die Verbraucherschützer überzeugt.
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Sie führen das Beispiel einer Schokowaffel an: Glukosesirup, Süßmolkenpulver und gezuckerte Kondensmilch machen aus der untersuchten Waffel ein wahres Zuckermonster, obgleich die vielen einzelnen Süßmacher in der aufgedruckten Zutatenliste erst weit hinten auftauchen – und damit dem Verbraucher suggerieren, nicht in nennenswerter Größenordnung in dem Lebensmittel verarbeitet worden zu sein. Erst der Blick auf die Kohlenhydratangabe auf der Packung verschafft Klarheit: Auf stattliche 45,4 Gramm Zucker bringt es die Schokowaffel, obgleich die Zutatenliste dem Laien darauf keinen Hinweis gibt.
Organisationen wie Foodwatch dringen deshalb auf eine bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln. „Verbraucher müssen schnell erkennen können, wie viel Zucker in Lebensmittel enthalten ist“, sagt Andreas Winkler von Foodwatch. Denn auch hinter schönen Begriffen wie „ungesüßt“ verbergen sich oft wahre Zuckerbomben, hat Winkler beobachtet.
Genaue Nährwertangaben erst 2016
Foodwatch spricht sich deshalb – wie der Bundesverband der Verbraucherzentralen – für eine Nährwert-Ampel aus, mit der Verbraucher auf einen Blick erkennen können, ob der Zuckeranteil im grünen oder doch eher roten Bereich ist.
Doch die Lebensmittelindustrie habe eine Ampel bislang erfolgreich verhindert, klagen die Verbraucherschutzorganisationen. Ab 2016 müssen die Hersteller indes klare Nährwertangaben auf den Verpackungen aufdrucken. Dort muss dann zum Beispiel angegeben werden, wie viel Zucker pro 100 Gramm zugesetzt wurden.
Noch kritischer bewertet Foodwatch, dass Lebensmittel für Kinder noch zuckerhaltiger sind. „Rund drei Viertel aller Produkte, die für Kinder vermarktet werden, sind besonders zuckerhaltig, fettig oder salzig“, sagt Foodwatch-Experte Winkler. „Bei Lebensmitteln für Kinder reicht mehr Transparenz nicht aus – hier muss die Politik eingreifen.“