Dortmund. Freitag ist Feiertag für die Jünger von Depeche Mode. Dann kommt mit „Delta Machine“ das neueste Album der Elektro-Briten in die Läden. Auf die Fans warten fette Bässe, wuchtige Sounds, eine kräftige Portion Blues und starker Gesang. Doch das Album hat auch Schwachpunkte.

Das neue Album von Depeche Mode "Delta Machine" steht als Audio Stream für alle Fans im Web. Die ersten Reaktionen der Fangemeinde waren überraschend positiv. Tatsächlich bietet der neue Longplayer, der ab Freitag im Handel erhältlich sein wird, einige wirklich starke Songs - aber eben nur einige. Denn wieder ist es der Band nicht gelungen, das in ihre Songs einzubauen, was Depeche Mode jahrelang ausgezeichnet hat: schöne Melodien, die im tiefen Keller der Seele – Schauplatz der meisten Songs der Band – das Licht anknipsen. Es gibt sie nicht mehr. Schon lange nicht. Nein, Delta Machine ist kein schlechtes Album geworden. Depeche Mode haben nur eben das Problem, dass sie in frühen Jahren sehr hohe Maßstäbe gesetzt haben, denen sie schlichtweg nicht mehr gerecht werden.

Nun also „Delta Machine“. Der erste Sound weckt Skepsis. Wieder ein Ausflug in minimalistische Knarz- und Knack-Geräusche? Nein! Denn „Welcome to my World“ schraubt sich von verschwurbelten, fetten Bässen und einem seltsam im Vordergrund stehenden Willkommensgruß von Sänger Dave Gahan zu einem opulenten Elektro-Song empor. In dem Moment, da auch noch zart, aber pointiert Streicher einsetzen und Martin Gores Begleitgesang den Song anschiebt, steht der Hörer mitten in der Welt von Depeche Mode.

Erinnerungen an frühere Alben werden wach

Was Martin Gore schon andeutete, erschließt sich beim Hören des Albums: Es erinnert in Teilen an die alten Depeche-Alben der Ära zwischen „Black Celebration“ und „Songs of Faith and Devotion“, ohne auch nur im Ansatz eine Kopie von irgendetwas Früherem zu sein. Denn der Blues regiert bei vielen Songs. Bei „Slow“ steigt schon beim ersten Gitarren-Riff die Luftfeuchtigkeit. Die Poren öffnen sich, die Lust auf einen vanilligen Bourbon steigt. Auf der Veranda in der Schwüle des Mississippi Deltas sitzen und Depeche Mode hören - mit diesem Album kein Widerspruch mehr. Vor allem dann, wenn die Songs laut gespielt werden. Bei geringerer Lautstärke versumpfen sie zunehmend.

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„Delta Machine“ ist natürlich keine Blues-Platte. Das Album ist konsequent elektronisch. Die sparsam, aber wirkungsvoll eingestreuten Gitarren-Sounds verleihen den Songs zusätzlich zur kraftstrotzenden Elektronik noch etwas Organisches. Dazu passt Dave Gahans Gesang, der bei „Should be Higher“ ungewohnte Tonhöhen erklimmt. Nicht ganz schmerzfrei, wie es scheint - es darf bezweifelt werden, dass dieser Song seinen Weg ins Live-Set auf der anstehenden Tour findet. Doch auf dem Album gehört das Stück zu den Höhepunkten, zumal es am Ende auch noch mit einem Hammond-ähnlichen Sound an die Sixties erinnert.

Schwachpunkt in der Mitte

Grob lässt sich „Delta Machine“ in Drittel teilen. Am Anfang steht ein etwas unsortiert wirkender Mix mit dem Opener „Welcome to my world“, dem Elektro-Blues „Angel“, der etwas einsamen Single-Auskopplung „Heaven“ und dem imposanten „Secret to the End“ - einem Song der im Bauch sofort ein diffuses 80er-Feeling auslöst. Es folgt der Mittelteil mit der schmalbrüstigen Kraftwerk-Reminiszenz „My little Universe“, dem beinahe klassischen Blues „Slow“, dem niedlichen „Broken“, das an so schön unschuldige Songs wie But not tonight erinnert, und am Ende dem von Martin Gore gesungen „The child inside“. Letzterer Song bildet den Tiefpunkt des Albums.

Düstere Depeche Mode

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Denn leider schafft es Martin Gore nicht mehr, einen singletauglichen Song zu singen. Nach eigener Aussage reißt er sich nicht um seine Songs, sondern singt das, was Dave Gahan im übrig lässt. Schade, denn einen großen Wurf wie „A question of lust“ oder „Home“ hat Gore lange nicht mehr abgeliefert und sich somit stets unter Wert verkauft.

Starke Songs am Ende

Nachdem „The child inside“ den Zuhörer gerade stimmungsmäßig runtergekocht hat, fetzt ihm mit „Soft Touch / Raw Nerve“ der Auftakt zum starken Schlussdrittel in die Ohren. Der auf Delta Machine stimmlich bestens aufgelegte Dave Gahan hat diesen kraftstrotzenden Punk-Song geschrieben, der von einer elektronischen Version der Sex Pistols stammen könnte: knallhart, temporeich, grobschlächtig. Es folgen vier nicht minder starke Songs: der treibende Stampfer „Should be higher“, das herzzerreißende „Alone“, die tanzbare Single-Auskopplung „Soothe my Soul“. Ganz am Ende lassen Depeche Mode auch noch die Ikone der britischen Pop-Musik hochleben: die Beatles. Sicherlich nicht absichtlich, aber das Finale von „Goodbye“ hat einfach eine frappierende Ähnlichkeit mit „Good day sunshine“.

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Gegenüber seinen Vorgängern „Playing the Angel“ und „Sounds of the Universe“ wirkt „Delta Machine“ liebevoller gearbeitet. Doch auch diesem Album fehlt in seiner Gesamtheit das gewisse Etwas. Die Verspieltheit und die Arbeit mit feinen, unschuldigen Melodien gehen Depeche Mode inzwischen einfach ab. Vielleicht ist es ungerecht, von Herren der Generation 50+ noch zuckersüße Melodien zu erwarten. Zumal Martin Gore zusammen mit seinem ehemaligen Band-Kollegen Vince Clarke jüngst auf Techno-Pfaden wandelte. Sie versuchen über Gesang und Arrangements die Schwere der Songs erträglicher zu machen. Wo auf „Music for the Masses“ etwa bei „The things you said“ eine kleine Melodie den deprimierten Grundton konterkariert, kleben die Depeche Mode der Neuzeit hier noch einen Basslauf an, hier ein Synthie-Brett und dort vielleicht noch eine Harmonie. Dadurch werden die Songs opulent ausgestattet und groß, aber eben nicht leichter.