Dortmund. Von Martin Gore ist die Musikwelt eher düstere Klänge gewohnt. Mit Vince Clarke verbindet der Musik-Fan leichten Elektropop – jetzt veröffentlichen die beiden Gründer von Depeche Mode unter dem Namen VCMG ein Techno-Album namens „Ssss“.

Über Sinn und Unsinn eines reinen Instrumental-Albums lässt sich streiten. Popmusik wird doch meist von einer Stimme getragen und benötigt stets einen Protagonisten, der das Werk verkörpert. Bei Instrumental-Stücken treten die Künstler hinter ihr Werk zurück.

Das ist besonders dann schade, wenn einer der Beteiligten auch noch ein begnadeter Texter und Sänger ist. Denn Martin Gore ist erstens der Mann, der für die Elektro-Urgesteine Depeche Mode die Songs schreibt, und zweitens derjenige, der mit seiner sanften Stimme so wunderbare Balladen wie „Somebody“ oder „A Question of Lust“ gesungen hat.

Sein Gegenpart im Intrumental-Projekt VCMG heißt Vince Clarke, Gründervater von Depeche Mode und Kopf des seit Jahrzehnten erfolgreichen Duos Erasure.

Reger Mailverkehr

Clarke war es, der die Initiative ergriff und irgendwann im vergangenen Jahr Martin Gore eine Mail schickte – (Ex-)Mitglieder von Depeche Mode sprechen traditionell eher wenig miteinander – und fragte, wie es denn wohl mit einem gemeinsamen Spaß-Projekt wäre. Gore sagte spontan zu und bekam sofort erste Demos von Clarke. Es entwickelte sich ein reger Mailverkehr mit Sounds und Songs. Am Ende widmete sich noch Produzent Überzone den Tracks und verlieh ihnen den letzten Schliff.

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    Das Ergebnis ist das Album „Ssss“, das Clarke und Gore am 9. März veröffentlichen. Und zumindest Vince Clarke weiß selbst nicht so recht, was der Titel aussagen soll – oder wie man ihn ausspricht: „Vielleicht Es-sssssss“, mutmaßt Clarke im Interview und schiebt die Schuld auf den Kollegen: „Martin hatte die Idee. Wir haben mit vielen Synthesizern gearbeitet, da summt viel“, so der Erklärungsansatz.

    Die Musik auf „Ssss“ ist guter, altmodischer Techno in Reinkultur. Die Beats treiben und gehen übers Ohr schnurstracks in die Beine. Optimal als Soundtrack beim Laufen. Die Musik ist ein Mix aus Clarkeschem Pop und einer kleinen Prise Gorescher Schwere. Doch in erster Linie ist es eine Sammlung kleiner, unschuldiger Stücke, die sinnstiftende Titel wie „Single Blip“ oder „Bendy Bass“ tragen. Der Track „Recycle“ heißt völlig zu zurecht so und erinnert an Versatzstücke längst vergangener Depeche-Mode-Zeiten. Das Stück wird von warmen Analog-Sounds getragen und klingt, wie Techno vor 25 bis 30 Jahren hätte klingen können.

    Gar kein Konzept

    Das sei aber nicht der Gedanke hinter „Ssss“ gewesen, so Clarke. „Wir hatten eigentlich gar kein Konzept“, so der 51-Jährige. Beim Schreiben der Tracks habe vielmehr die Lust am experimentieren im Vordergrund gestanden, was dem Album durchaus anzumerken ist. Denn die einzelnen Titel zeugen von einiger Liebe zum Detail und sind hervorragend produziert. So befinden sich auf „Ssss“ keine Kollateralschäden im inzwischen leider üblichen „Loudness War“, den sich Musik-Produzenten so gerne liefern. Nein, dieses Album zeigt, wo die Stärken elektronischer Musik liegen: In sauberen Sounds und durchdachten Strukturen.

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      Dabei durchbrechen die Stücke das normale Pop-Schema – auch ein Vorteil, wie Vince Clarke findet: „Instrumental-Musik bietet viel mehr Freiheit. Man ist nicht an eine Gesangsmelodie gebunden, muss keine Rücksicht nehmen“, erklärt der Engländer, der offenbar auf den Geschmack gekommen ist und auch bei künftigen Erasure-Songs wieder mehr mit Sounds spielen möchte.

      Was Clarkes Kompagnon Martin Gore aus der Instrumentalarbeit mit in den nächsten Studioaufenthalt nimmt, wird sich im Jahr 2013 zeigen. Dann erscheint das nächste Album von Depeche Mode. Dass Gore einen Hang zu und ein Talent für härtere musikalische Gangarten hat, konnte er bereits auf dem bislang letzten Album von Depeche Mode zeigen. Dort befindet sich, versteckt in den Bonus Tracks, der Song „Oh well“, der schon deutlich in die Techno-Richtung zeigt. Wer weiß, vielleicht hat die Arbeit an „Ssss“ Gore nachhaltiger beeinflusst. Die Fans von Depeche Mode wird’s freuen, denn die lechzen nach neuem Stoff. Eines ist schließlich klar: Bei aller Qualität ist „Ssss“ nicht mehr als ein äußerst gelungenes Methadon-Programm für Depeche-Mode-Junkies.