Es gibt Bands, bei denen künstlerisches Talent und öffentliche Aufmerksamkeit gleichmäßig auf alle Mitglieder verteilt sind. Es gibt Bands, bei denen beides sehr ungleichmäßig einem einzigen Mitglied zufällt. Und es gibt Depeche Mode.

Depeche Mode bestehen im Wesentlichen aus Martin Gore und Dave Gahan. (Andy Fletcher, den Dritten im Bunde, wollen wir an dieser Stelle vernachlässigen, weil ihm eher organisatorische als musikalische Aufgaben zukommen.)

Gore und Gahan – das Yin und Yang des Synthiepop. Seit über 30 Jahren. Gore hat das Talent, Gahan hat die Aufmerksamkeit. Gahan ist der Entertainer, Gore der Strippenzieher. Dass Depeche Mode nicht nur die Pop-Trends von drei Dekaden, sondern auch sich selbst überlebt haben, liegt an dieser Symbiose.

Sensible Balance zwischen Gore und Gahan

Es ist eine sensible Balance: auf der einen Seite Gore, der Songs schreibt, die er nie singen wird, auf der anderen Seite Gahan, der die Songs singt, die er nicht geschrieben hat. Jeder macht ein Zugeständnis an den anderen, keiner kann für sich alles beanspruchen, beide sind aufeinander angewiesen. Woanders ist es eine Floskel, bei Depeche Mode einfache Mathematik: Diese Band ist die Summe ihrer Einzelteile.

Egos und Eitelkeiten sind der natürliche Feind eines solchen Abkommens. Der Songwriter, der seine Songs plötzlich auch alle singen will, oder der Sänger, der sich auf einmal für den besseren Songwriter hält: Gore und Gahan könnten sich gegenseitig ihre Daseinsberechtigung in der Band entziehen – oder sie zumindest zur Diskussion stellen.

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Von DerWesten

Gore hat es gelassen, Gahan hat es getan. Zu allem Überfluss öffentlich: 2003 veröffentlichte der Sänger, dem kaum jemand nennenswertes Talent als Songwriter zugetraut hatte, ein Soloalbum und polterte in Interviews mit dem Leichtsinn eines Debütanten drauflos. Gore habe ihn im Studio seit jeher unterjocht, er wolle endlich mehr sein als nur das Bühnen-Aushängeschild von Depeche Mode. Wenn Gore das nicht einsehe, sehe Gahan für die Zukunft ihrer gemeinsamen Band schwarz.

Gore reagierte, wie man es von ihm erwartet: zunächst einmal gar nicht. Erst als ihm bewusst wurde, dass sich der Konflikt nicht aussitzen lassen würde, suchte er das Gespräch mit Gahan. Überraschendes Ergebnis: Für das nächste, 2005 veröffentlichte Depeche-Mode-Album „Playing The Angel“ gestand Gore Gahan zu, eigene Songs beizutragen. Drei der zwölf Stücke kamen von ihm, Gahan feierte es als einen Triumph. Das Säbelrasseln war beendet.

Das Ende der Grabenkämpfe

Dennoch hatte man nach Gahans Rebellion gegen Gore das Gefühl, eher einem Waffenstillstand als einem echten Frieden beizuwohnen. Man vermutete weiterhin gravierende Spannungen. Nicht Gahans bis zum klinischen Tod ausgereizte Heroinsucht Mitte der 90er Jahre, nicht Gores kalte, unkommunikative Art, auch nicht der Ausstieg des Sound-Tüftlers Alan Wilder hatten das Ende von Depeche Mode besiegelt: Die kultisch verehrte und mit Abstand erfolgreichste Synthiepop-Band der Welt drohte an etwas so Banalem wie gekränktem Stolz zu zerbrechen.

Und dann war plötzlich 2009. Depeche Mode waren zurück im Studio, Gore und Gahan hatten einen Haufen neuer Songideen und vor allem: keine Lust mehr auf Grabenkämpfe. Gore respektierte Gahan als Songwriter neben sich, und Gahan respektierte Gore dafür, dass er es auf die alten Tage zuließ. Für Depeche Modes Siegeszug durch 30 Jahre Rock und Pop gibt es viele Erklärungen – der gegenseitige Respekt der Bandmitglieder zählte bislang nicht dazu.

2009 wird sich deshalb für den weiteren Werdegang von Depeche Mode als ein Schicksalsjahr, ein Meilenstein entpuppen. So wie 1980, das Jahr ihrer Gründung im britischen Basildon bei London. So wie 1983, als sie auf „Construction Time Again“ ihren düster-erhabenen Sound fanden. Wie 1988, als sie Amerika eroberten, oder 1990, als ihr grenzüberschreitendes Album „Violator“ von der Rock- wie Popwelt als Sensation gefeiert wurde. Wie 1996, als Dave Gahan von den Toten auferstand, im wahrsten Wortsinn.

Miteinander statt gegeneinander

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2009 haben Depeche Mode die Grundlage geschaffen, auch für die nächsten Jahre oder Jahrzehnte Musik zu machen. Miteinander statt nebeneinander. Eine Kostprobe von dem, was nun möglich ist, da Gore und Gahan klare Verhältnisse haben, lieferte der Song „Oh Well“. Depeche Mode brachten ihn zwar nicht auf ihrem neuen Album „Sounds Of The Universe“ unter, doch auch als B-Seite zog diese erste echte Gemeinschaftsarbeit von Gore und Gahan alles Interesse auf sich.

Gore hatte den Song als Instrumentalstück in seinem kalifornischen Heimstudio vorkomponiert, Gahan vollendete ihn in seiner Wahlheimat New York mit Melodie und Gesang. „Nun müssen wir es nur noch schaffen, zur selben Zeit im selben Raum zu sein, statt ein paar Tage und tausende Kilometer zwischen uns zu haben“, sagte Gahan, als ich ihn zum Interview traf.

Ein Hotelzimmer weiter und eine halbe Stunde später stimmte auch Gore in die neue Euphorie ein. „Eine tolle Mannschaftsleistung!“, sagte er über „Oh Well“.

Ein größeres Kompliment hätte er Gahan und sich selbst nicht machen können.

Die Charts des Jahres:

Schrilles Outfit, alberner Name und ein echter Ohrwurm. Für viele ist Lady Gaga 2009 das personifizierte One-Hit-Wonder. Am Ende steht „Poker Face“ nicht nur 13 Wochen an der Spitze, insgesamt platzieren sich fünf ihrer Songs in den Charts – und das ist wahrlich erst der Anfang.International erfolgreicher sind (noch) nur die Black Eyed Peas, die in England und USA die Jahrescharts anführen.

1.Lady Gaga: Poker Face

2.Emiliana Torrini: Jungle Drum

3.Milow: Ayo Technology

4.Cassandra Steen feat. Adel Tawil: Stadt

5.Mando Diao: Dance With Somebody

6.Razorlight: Wire To Wire

7.Silbermond: Irgendwas, das bleibt

8.Gossip: Heavy Cross

9.The Black Eyed Peas: I Gotta Feeling

10.David Guetta: When Love Takes Over

(Quelle: media control