Köln. .
Patrice hat den deutschen Reggae mitbegründet. Mit seinem neuen Album „One“ stellt er sich noch breiter auf. Logisch, wenn man seinen Werdegang betrachtet. Hinter dem musikalischen Grenzgänger steckt ein sehr europäischer Singer-Songwriter.
„Ich wurde am selben Tag geboren, an dem mein Großvater starb. So hat mein Vater mir diesen Namen gegeben. Babatunde. Er stammt aus der Yoruba-Sprache und bedeutet: Die Wiederkehr des Vaters.“
Damit beginnt seine Geschichte, es erklärt seine Haltung, dass Babatunde einen zweiten Namen hat. Sein europäischer ist von einem kongolesischen Freiheitshelden inspiriert, von Patrice Lumumba... Mit solchen Bedeutungen ist Patrice Bart-Williams aufgewachsen, sein Vater hat als Schriftsteller selbst für die Demokratie in Sierra Leone gekämpft, musste fliehen. Und fand ein Heim und seine Frau in Kerpen bei Köln. Von hier kommt Patrice... und von allen Orten, die unter seinem schlichten Vornamen mitschwingen. Und so ist es auch mit seiner Musik.
Patrice hat Anfang des Jahrtausends den deutschen Reggae mitbegründet. Aber was heißt Reggae? Dazu eine Prise Soul, etwas Hip-Hop und tief darunter sehr viel Folk. Hinter dem musikalischen Grenzgänger steckt ein sehr europäischer Singer-Songwriter, dessen Lieder auch mit einer simplen Gitarre funktionieren. Es mag an seiner stilistischen Offenheit liegen, dass Patrice trotz einiger Radio-Hits immer im Schatten der Genrekollegen Gentleman oder Seeed stand – und in Frankreich größere Erfolge feierte als hier. Mit seinem neuen Album „One“ stellt Patrice sich nun noch breiter auf (siehe Albumkritik).
Was man bei ihm wie bei dem ebenfalls aus Köln stammenden Gentleman beobachten kann: Bei den neuen deutschen – und international erfolgreichen – Künstlern trifft Bildungsbürgertum auf Szeneerfahrung: Skateboard, Graffiti, Breakdance. Patrice erlebte den Aufschwung des deutschen Hip-Hops in Köln mit, allerdings als Ferienerfahrung. Er wohnte ja in den Vororten, in Erftstadt, in Kerpen, dann besuchte er das Elite-Internat Schloss Salem am Bodensee – als Stipendiat. Man braucht vielleicht beides, um sich als Künstler durchzusetzen: Den Draht zur Straße und das Wissen um den Wert der Disziplin.
Patrice sagt es so: „Mein Vater hat mir viel mitgegeben. Auch einen gewissen Anspruch an mich selbst. Auch ein Gefühl für Sprache.“ Seine Eltern kamen ja aus ärmlichen Verhältnissen. Auch Gaston Bart-Williams hatte ein Stipendium, das ihm das Studium in Europa ermöglichte. Er starb bei einem Bootsunfall, als Patrice elf Jahre alt war: „Ich habe meinen Vater erst im Nachhinein schätzen gelernt, durch seine Arbeiten, seine Haltung zu Sachen. Wir waren sehr gegensätzlich. Ich war als Sohn eher rough, sehr physisch, wild und so.“
Hin und wieder übernimmt Patrice gar Textzeilen. „You Always You“ etwa, ein Stück auf seinem ersten Album, war ein Brief des Vaters an den Sohn. Und in der Familie wird noch immer gern die Theorie gepflegt, das Gedicht „Piano Keys“ hätte den Beatles als Vorlage für „Ebony and Ivory“ gereicht. Nun, zumindest Patrice selbst hat sich hier bedient.
Auf ein Bier mit den großen Jazzern
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Vielleicht hat es mit diesem Anspruch und dem Umgang mit Künstlern zu tun (der Vater war zum Beispiel mit Champion Jack Dupree befreundet, dem Patrice das Bier auf die Bühne reichte): Patrice wollte immer schon seine eigenen Lieder schreiben. Das erste, als er ungefähr sechs oder sieben war: „Wir hatten so eine Bande früher und wollten einen Themensong. So was wie bei TKKG. Wir nannten uns die Dschungelfans“, lacht Patrice. „Das habe ich dann weiterentwickelt.“
Im Internat dann „musste ich in den Chor.“ Die Leiterin fand ihn talentiert, wollte ihn födern, aber: „Keine Chance, ich hab nur Terror gemacht.“ Auch der private Klavierunterricht scheiterte. Doch „dann kam die Gitarrenwelle mit Nirvana und Guns’n’Roses“. Seinen ersten Auftritt hatte Patrice in der Turnhalle mit zwölf. „Angie“ von den Stones war dabei und viel von Dylan. Auch zuhause liefen Rock und Folk, Jazz und Reggae querbeet. Das ist noch immer die Grundierung seines Schaffens.
Dass er sich dann für den Reggae entschied, war also nicht so angelegt. Es war seine Schwester, die ihm eine Kassette gab: „Auf der einen Seite war die Rocky Horror Picture Show und auf der anderen Bob Marley.“ Das Burnin’-Album mit „Get Up, Stand Up“. Der Reggae wurde sein „persönliches Ding“ jenseits der Hip-Hop-Szene. Auf Jamaika war Patrice allerdings nie fixiert. „Ich hab mich immer eher als Afrikaner gesehen.“
Malaria in Sierra Leone
Auch in Sierra Leone will er sein neues Album nun rausbringen, obwohl dort kein Musikmarkt im eigentlichen Sinn existiert. „Die Leute dort nehmen mich wahr als einen von ihnen, der es draußen geschafft hat? Ich bin dort eher weiß und hier eher schwarz. Man ist nie irgendwo richtig zuhause, aber das ist auch cool.“ Vor kurzem noch besaß er ein Haus dort, achteckig, wunderschön, an einem See gelegen und nahe am Strand. Ein wunderschönes Land, schwärmt Patrice, und friedlich, seit der Bürgerkrieg vorbei ist. Da war nur dieses klitzekleine Problem mit der Malaria. Wegen des Sees und der Mücken. Die ganze Band hat es bekommen. Der Bassist wäre fast draufgegangen. Es war ein Drama.
Zurzeit hat Patrice ohnehin keine Zeit für Ferien. Das neue Album, die Tour, und er pendelt neuerdings zwischen seinem Studio in Köln und seinem neuen Hauptwohnsitz in Brooklyn, New York. „In so Sachen schlitter’ ich immer rein“, sagt er nonchalant, und man glaubt es dem Wuschelkopf mit dem stets verschlafenen Blick. Seine Freundin, die Soul-Sängerin Ayo, wollte in New York arbeiten, und Patrice, klar, findet das auch spannend. Und nun ist er dort gerade zum zweiten Mal Vater geworden. Ayo und Patrice haben ihr Kind Billie-Eve genannt – „wie Billie Holiday und die erste Frau.“ Aber man kann das auch zusammensprechen – Believe – und auch dieser Name erklärt eine Haltung.