Köln .
„Diversity“ heißt das neue Album von Gentleman - und der Musiker, der in Köln, Kingston und im Tourbus lebt, hat mit Vielfalt einiges zu tun. Im Interview sprach er über die Heimat, die Kirche und jamaikanische Verhältnisse in Köln.
Er ist wieder ganz bei sich. Gelassen und geistesgegenwärtig stellt Tilmann Otto alias Gentleman in den Kölner Maarweg-Studios sein neues Album „Diversity“ vor. Es ist wieder zum Teil auf Jamaika entstanden und während der zwei Jahre, in denen der Reggae-Sänger um die halbe Welt getourt ist. Mit Deutschlands vielleicht internationalstem Star sprachen Sarah Hubrich und Thomas Mader über die Heimat, die Kirche und jamaikanische Verhältnisse in Köln.
Wo ist am ehesten Zuhause: Kingston oder Köln?
Gentleman: Weder noch. Ich verbringe die meiste Zeit an Flughäfen und im Tourbus. Letztes Jahr haben wir eine Tour gespielt in Südamerika, Kalifornien … 2011 wollen wir unsere Afrika-Tour machen, die wird auch sehr lang. Eigentlich bin ich meistens nicht in Jamaika oder Köln, aber ich guck’, dass ich nächstes Jahr wieder drei, vier Monate Pause nehme – und die werde ich in Köln verbringen, bei der Familie.
Das Lied „Got To Go“ hast du deinem neunjährigen Sohn gewidmet, weil du so viel unterwegs bist. Wie nutzt du die Zeit mit ihm zu Hause?
Gentleman: Ich bin halt wirklich da - selbst, wenn ich nicht da bin, das sag’ ich auch in dem Song. Ich weiß, wer seine Freunde sind, weiß, dass er seinen Freischwimmer gemacht hat vor zwei Wochen und telefoniere täglich mit ihm. Das ist wichtig, einfach da zu sein und zuzuhören, selbst wenn man müde ist und nur so tut, als würde man zuhören.
Und ich will ihm beibringen, diese ganze Informationsflut, die da auf ihn zukommt, zu filtern. Meine Eltern sind mit mir in den Wald gefahren, in die Natur, haben Baumhäuser gebaut, und das mache ich mit meinem Sohn auch. Ich will ihm einfach verschiedene Wege zeigen, ohne zu sagen „Du musst das so und so machen“.
Jamaika fühlt sich nicht nach Zuhause an?
Gentleman: Doch, absolut. Aber zuhause wird immer mehr ein Zustand, und immer weniger ein Ort. Ich habe Freunde und Familie in Kingston, und wenn ich dort am Flughafen ankomme, fühle ich mich auch Zuhause. Aber wenn ich länger da war, ist es gut, wieder nach Deutschland zurückzukommen. Ich habe durch meine langen Jamaika-Aufenthalte ein viel positiveres Bild von Deutschland. Bei aller Kritik, die ich am System habe, ist alles doch einigermaßen im Lot hier. Eine Korruption oder Gewalt wie in Afrika oder Jamaika oder auch in Venezuela ist unbekannt.
Wenn ich den Leuten dort erzähle, dass es hier Arbeitslosengeld gibt oder Krankenkassen, dann glauben die das erst gar nicht. Andererseits fehlen mir hier der Gedankenaustausch, die tiefen Gespräche. Die gibt’s zwar auch, aber auf Jamaika eben öfter. Das ist die positive Seite von Jamaika, genau wie die Kreativität und die Spiritualität. Es ist das Land mit den größten Kontrasten, die ich kenne.
Angesichts des Bauskandals in deiner Heimatstadt Köln – sind das nicht auch ein wenig jamaikanische Verhältnisse?
Gentleman: Der Klüngel ist doch sehr ähnlich, wobei es hier noch ein bisschen krasser ist (lacht). Von Anfang an war ich gegen den U-Bahn-Bau. Was man da für diese paar Kilometer an Steuergeldern verprasst! Und es ist unglaublich, was da passiert ist, es macht mich wütend. Diese Prestigeprojekte, ob es in München der Transrapid ist oder in Köln die U-Bahn: Wir brauchen das nicht. Wenn Du eine 85-jährige Frau aus der Südstadt fragst, sagt sie dir: Wir sind doch gut klargekommen. Wofür das ganze? Wenn ich mir dagegen die Klos in der Schule meines Sohnes anschaue oder die Turnhalle – dann denk ich, da läuft doch einiges falsch.
Glaubst du, dass Vielfalt in Deutschland genug gefördert wird?
Gentleman: Ich bin ein Kosmopolit und kann so etwas immer nur global beurteilen: In Kingston gibt es nun auch den ersten H&M und Subway sowieso. Ich toure jetzt seit fast zwanzig Jahren durch die Welt, und die Städte werden sich immer ähnlicher. Da geht Vielfalt verloren.
Auch auf der kulturellen oder religiösen Ebene: Dieses Gefühl „Wir müssen miteinander klarkommen“, das macht es so schwierig. Wir müssen nicht, und in dem Moment, wo wir nicht müssen, geht’s auch. Das ist eine Erfahrung, die ich immer wieder mache. Dazu gehört, dass man auch andere Meinungen akzeptieren sollte. Auch wenn’s noch so gegen den eigenen Strich geht, solange keiner zu Schaden kommt. Ich spreche mal die Homophobie an, die im Reggae ja weit verbreitet ist, wie auch in anderen Musikstilen, etwa dem Hip-Hop. Aber ich kann auch nicht nach Vatikanstadt gehen und da Kondom-Automaten aufstellen. Und ich kann auch nicht in den Iran gehen und sagen „Was tragt Ihr denn hier alle Kopftücher“.
Genauso wenig kann ich zum bibelfesten jamaikanischen Volk sagen „Wie könnt Ihr denn gegen Homosexualität sein?“ Wenn so genannte Aktivisten Buttersäure-Anschläge auf Reggae-Konzerte verüben und friedvolle Besucher mit Atemwegsvergiftung ins Krankenhaus kommen, dann läuft da eine Diskussion völlig aus dem Ruder. Oder wenn Volker Beck es aus der Opposition heraus durchsetzen kann, dass jamaikanische Künstler, die nicht gegen das Gesetz verstoßen haben, Einreise-Verbote bekommen und auf die gleiche Stufe gestellt werden wie Taliban-Kämpfer, dann sag ich auch: Hey, lasst uns alle mal ein bisschen runterkommen. Beide Seiten. Ich distanziere mich ganz klar von diesen Diskriminierungen. Und trotzdem glaube ich an die Gemeinsamkeiten eher als an die Differenzen.
Aber verstößt diese Diskriminierung nicht auch gegen den selbstgesetzten Anspruch der Rasta-Kultur, die ja universelle Toleranz propagiert?
Gentleman: Mir fällt außer dem Buddhismus keine Religion ein, wo es nicht so ist, dass die Toleranz an Grenzen stößt. Und der Rasta-Glauben ist ein großes Paradox. Es gibt viele Rasta-Stämme, und die einen sind toleranter als die anderen - so wie es auch die und die Christen gibt oder die und die Moslems. Aber ich persönlich glaube nicht an Dogmen und bin deswegen auch kein Rasta. Und Selassie ist für mich kein Gott. Wenn Rasta aber das Suchen nach der Wahrheit bedeutet und mit der Natur im Einklang zu sein, – was auch schon Leute gesagt haben –, dann kannst Du mich auch Rasta nennen. Es ist eine komplizierte Angelegenheit, und ich hab’s bis heute nicht durchschaut.
Aber als gläubig würdest du dich schon bezeichnen?
Gentleman: Ich glaube immer weniger und weiß immer mehr. Ich glaube an Gott, ganz sicher. Aber ich glaube ebenfalls, dass Gott auch ein Konzept sein kann, der Wille zum Gerechten, zum Guten in uns. Es gibt ja eine Kraft, die alles noch zusammenhält. Im Jahr 2010 sind wir immer noch am Start. Die Kraft, die das ausmacht, ist Gott. Aber es wird immer weniger Religion. In der Religion fühle ich mich Gott nicht so nah.
Auf Jamaika bist du als Weißer noch eine Art Exot?
Gentleman: Ich glaube, der Exoten-Bonus ist irgendwann weg. Spätestens als sie auf dem Sting-Festival mit Flaschen auf mich geworfen haben, hatte ich das Gefühl, jetzt bin ich irgendwie angekommen. Vielleicht weil ich nicht gut performt habe und weil ganz viele Gangsta und Bad-Man da waren und ich von Righteousness und einfach zu lang geredet habe. Aber es sind dann noch zehn andere mit Flaschen beschmissen worden, das ist so gang und gäbe. Im ersten Moment war das natürlich schockierend, aber ich bin dadurch auch gereift. Danach kannte mich wirklich jeder. Im Nachhinein fand ich es positiv.