Essen. Ein türkisblauer Swimmingpool. Ein leuchtender Bergsee. Die schäumenden Fluten des Meeres: Das sind Traumbilder, in die wir nur zu gerne versinken. Besonders, wenn zu Lande die Sonne gleißt, durchpflügen wir mit Leidenschaft die Wellen zwischen Buchdeckeln – oder räkeln uns behaglich im Becken.
Die sinnliche Sehnsucht nach Meer ist im Menschen tief verankert. Nicht nur krabbelten unsere Vorfahren einst aus dem Nass an Land, auch beginnen wir unser Leben im Wasser schwebend: im Fruchtwasser. Die Amerikanerin Lynn Sherr durchquert in ihrer Kulturgeschichte des Schwimmens mit dem schlichten Titel „Swim“ (Haffmans & Tolkemitt, 251 S., 19,99€) die Jahrhunderte – und den Hellespont. Im Alter von 70 Jahren nahm sie teil an einem Wettbewerb, der von Europa nach Asien führte. Lynn Sherr war mit 1:24:16 die Schnellste ihrer Gruppe, allerdings auch die Einzige.
Schließlich waren ihre Mitschwimmer wohl eher im Alter des schönen Jünglings Leander: Eine der romantischsten Stories der Antike erzählt davon, wie Leander allnächtlich den Hellespont durchkraulte, um zu seiner Geliebten Hero zu gelangen. Bis er ertrank – und sie sich in den Tod stürzte.
Merke: Schwimmen kann tödlich sein. Nichtschwimmenkönnen erst recht. Jeden Sommer erzählen uns Badeunfälle ihre ganz eigene, tragische Geschichte.
Dabei gehört heute das Schwimmenlernen wieder zu den Kulturtechniken, wie sie einst der griechische Philosoph Platon verstand: Über einen dummen Menschen sagte er, er könne „weder lesen noch schwimmen“. Dabei blieb, nachdem die Reiche der Griechen und Römern untergingen, die westliche Geschichte lange eine der Landratten. Erst im 18. Jahrhundert tauchten in Frankreich die ersten Badenden in der Seine auf. Die Herausforderung bestand damals vor allem darin, peu a peu die Hüllen fallen zu lassen. Im 20. Jahrhundert schließlich, hier sind wir schon beim elastisch-knappen Badekleid, führte die Erfindung des Betons zu kapriziösen Badeblüten der anderen Art. So planschte Frank Sinatra in einem Pool, der die Form eines Pianos hatte. Gewagt!
Ein anderer Amerikaner, der Schriftsteller F. Scott Fitzgerald, ging mit einer tropfnassen Metapher in die Kulturhistorie des Schwimmens ein: „Gutes Schreiben ist wie unter Wasser zu schwimmen bei angehaltenem Atem.“
So entstehen Bücher, in die man ganz und gar abtauchen kann. Einige stellen wir nun vor.
- Die Hafenstadt Piombino, gegenüber der Insel Elba gelegen, ist die Heimat der Töchter Alessi: Roberta, Lucia und Nannina. Auch wenn es sie in die Welt hinaustreibt, sind alle drei dem Meer verfallen. Sowie dem Dichter Alessandro Lang, diesem tollen Hecht, den alle drei sich gern angeln würden. Natasa Dragnics „Immer wieder das Meer“ (DVA, 368 S., 19,99 €) sprüht vor Sinnlichkeit – und Eifersucht.
- Joschs Leben ist ins Schwimmen geraten, seit seine Frau ihn mit dem gemeinsamen Sohn verließ. Der Schwimmmeister freundet sich mit der 14-jährigen Leonie an – und gerät in einen wahren Abwärtsstrudel, als diese bei einem Tauchunfall stirbt. Oliver Wnuk, seinen Fans vor allem als Schauspieler bekannt, zeigt in „Luftholen“ (Krüger, 256 S., 16,99 €) sein erzählerisches Talent. Vor allem die Dialoge gelingen ihm lebensecht und flüssig. Ein lesenswertes Buch über einen Menschen am (Becken-)rand des Lebens.
- „Loyalty Island – das war der Gestank von Hering, Lackfarbe und fauligem Seetang an Anlegestellen und auf Stränden.“ Hier wächst der Junge Cal auf, dessen Vater Krabbenfischer in der Beringsee ist. US-Autor Nick Dybek erzählt in „Der Himmel über Greene Harbor“ (mareverlag, 320 S., 19,90 €) eine naturgewaltige Story über Väter und Söhne, Schuld und Verbrechen.
- Ein Haus auf einer einsamen Karibikinsel, Sonne, Strand und Palmen – geht es noch romantischer? Dennoch geht die Liebe zwischen Thomas und Cathrine hier beinahe Baden. Denn Thomas tötet den jungen Insulaner Joseph, der in Cathrines Bett lag. Sara Johnsens „White Man“ (mareverlag, 304 S., 19,90 €) lotet Seelen aus, die stille Wasser sind – und nimmt sehr gekonnt und spannend Kurs auf die politischen Tsunamis unserer Zeit.
- An der tasmanischen Küste wachsen die Brüder Joe, Miles und Harry auf, suchen Muscheln, reiten auf den Wellen. Nur ist ihr Vater so unberechenbar wie das Meer. In Favel Parretts Debütroman „Jenseits der Untiefen“ (Hoffmann & Campe, 224 S., 19,99 €) ist Kindheit nichts als ein winziges Boot im Sturm – und Geschwisterliebe ein allzu dünnes Rettungsseil. Tragisch und berührend.
- Margo ist 16 und macht beinahe so wenig Worte wie die Fische, die sie zuweilen beim Schwimmen im Stark River verschluckt. Ihre Mutter trinkt, ihr Onkel vergreift sich an Margo – und sie flieht in einem Ruderboot den Fluss hinunter. Bonnie Jo Campbell hat mit „Stromschnellen“ (Piper, 400 S., 22,99 €) einen modernen Huckleberry-Finn-Roman geschaffen, so mitreißend wie das wilde Wasser selbst: eine Frau, ein Boot, ein Gewehr – was für ein amerikanisches Idyll.
- Philip Hoare hat erst als Erwachsener Schwimmen gelernt und alpträumte lange Jahre von See-Ungeheuern. Vielleicht deshalb war er von Melvilles „Moby Dick“ so fasziniert – und schwamm schließlich selbst mit den Buckelwalen! Das Sachbuch „Leviathan oder Der Wal“ (mareverlag, 522 S., 26 €) wurde so Kulturgeschichte und Erlebnisbericht zugleich.
- Cicas Mutter ist ertrunken. Im Ferienlager am Meer stiehlt Cica einer Nonne das Weihwasser und gießt es über das Grab ihrer Mutter – die aber auch davon nicht wieder lebendig wird. Maria Paola Colombos Debütroman „Die Umkehrung der Liebe“ (Blessing, 432 S., 19,99 €) überflutet ihre Leser mit Gefühl – und wurde in Italien dafür gefeiert. Achtung: Nichts für jene, die nah am Wasser gebaut sind!
- Im Freien Duschen, schon mittags Cocktails trinken und den Segelbooten zuschauen: So stellt sich Alice den Sommer in ihrem Ferienhaus in Maine vor. Als aber ihre Tochter, ihre Enkelin und ihre Schwiegertochter zu Besuch kommen, buddeln sie nach und nach Geheimnisse aus – groteske Sandburgen der Vergangenheit. Am Ende ihres Romans „Sommer in Maine“ (Deuticke, 510 S., 19,90 €) lässt J. Courtney Sullivan die Wogen noch einmal richtig hochschlagen. Herrlich böse.
- Karla ist die „Königin des Sprungturms“, ihre Freundin Nadja immerhin die Nummer zwei im Leistungszentrum. Martina Wildner beschreibt in ihrem Jugendbuch (Beltz & Gelberg, 216 S., 12,95€) Auerbachsalto und Delfinkopfsprung – sowie Fluch und Segen des Leistungssports. Ein Buch, das mutig gegen den Strom schwimmt