Husum. Der Sohn der «grauen Stadt am Meer», Schöpfer dies- und jenseitiger Helden wie dem «Schimmelreiter» - so kennt man Theodor Storm. Der Dichter, der den Tod fürchtete und an ein Leben danach nicht glauben konnte, starb vor 125 Jahren - und ist ein großer Tourismus-Faktor.

«Habt guten Abend, alt und jung, Bin allen wohl bekannt genung» - so beginnt in einer frühen Fassung eines der bekanntesten Gedichte von Theodor Storm: Knecht Ruprecht. Wohl bekannt genug scheint auch Storm selbst den Menschen, sogar 125 Jahre nach seinem Tod am 4. Juli 1888. Großväterlich mit weißem Bart, als Spukgeschichtenerzähler am Kamin und vor allem als Verfasser des «Schimmelreiters» - das ist der öffentliche Storm.

Wer das einst von ihm bewohnte Haus in Husum besucht, seinem Geburtsort, dem er mit der «Grauen Stadt am Meer» ein unsterbliches Etikett verpasste, findet diesen Storm wieder. Biedermeierliche und gründerzeitliche Behaglichkeit atmen die Räume, die mit den Originalmöbeln wieder den Anblick bieten, den auch Storm, seine zweite Frau und seine acht Kinder hier von 1866 bis 1880 hatten. Aber der Jurist und Schriftsteller hatte auch eine andere Seite.

Mit der Kirche nichts am Hut

«Er war ein sehr sensibler Mann, sehr narzisstisch», sagt Christian Demandt, Direktor des Storm-Zentrums in Husum, das Museum und Archiv verbindet. Auch «extrem eifersüchtig» sei Storm gewesen, dabei kannte er selbst amouröse Verwirrungen. Schon im Jahr nach seiner ersten Eheschließung 1846 soll er, verliebt in eine andere Frau, von anderem als einer bürgerlichen Ehe geträumt haben. Eine Ehe zu dritt gar? «Es war was», sagt Demandt vorsichtig, aber was genau? «Da gibt es nicht genug Zeugnisse.» Fakt ist: 1866, ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau, die nach der Geburt des siebten Kindes starb, heiratete Storm seinen früheren Schwarm. Dann aber hielt er der zweiten Gattin stets die Vorzüge der Vorgängerin vor.

Das nachgebildete Wohnzimmer des Dichters im Theodor-Storm-Haus in Husum. (Foto: dpa)
Das nachgebildete Wohnzimmer des Dichters im Theodor-Storm-Haus in Husum. (Foto: dpa)

Dabei war für Storm die Familie «ein riesiger Wert, sein Rückzugsort mit quasi religiöser Bedeutung». Dennoch haben sich laut Demandt alle Kinder schwergetan im Leben, ein Sohn starb früh als Alkoholiker. Auch seine Liebesphilosophie, wie Demandt sie schildert, dürfte für beide Frauen nicht ganz leicht umzusetzen gewesen sein. Die Liebenden sollten demnach kein Geheimnis voreinander haben, sich selbst banalste Details nicht verschweigen, um sich dermaßen zu vereinen, dass sie auch nach dem Tod ewig zusammenbleiben. Vielleicht eine Wunsch- oder Ersatzvorstellung für Storm, der mit der Kirche nichts am Hut hatte, weder an ein Leben nach dem Tod glaubte noch einen Priester bei seinem eigenen Begräbnis sehen wollte. «Ich sage Dir, der Adel (wie die Kirche) ist das Gift in den Adern der Nation», schrieb er einst.

«Schimmelreiter»: Aberglaube und Aufklärung

Dafür glaubte Storm an Gespenster, «ganz selbstverständlich», erzählt Demandt, «und dass Verstorbene wie Geister gegenwärtig sind». Der liberale Künstler und der Spukgläubige: Diesen Widerspruch spiegelt sein bekanntestes Werk, der «Schimmelreiter», in dem Aberglaube und Aufklärung miteinander kämpfen.

Sein Alterswerk, dessen Veröffentlichung als Buch er nicht mehr erlebte, verdankt die Welt einer List: Als der 69-Jährige an Magenkrebs erkrankte und ob der Diagnose in Depressionen verfiel, trickste die Familie ihn aus. Unter Beteiligung seines Bruders, eines Arztes, wurde eine neue Untersuchung fingiert, die nur eine Ausdehnung der Aorta ergab. Storm «atmete auf», schrieb den «Schimmelreiter» und starb mit 70 Jahren fünf Monate nach der Vollendung. «Er hat ein ganz starkes Todesgrauen gehabt», berichtet Demandt, «ein starkes Vergänglichkeitsempfinden».

Das Geburtshaus des Dichters in Husum. (Foto: dpa)
Das Geburtshaus des Dichters in Husum. (Foto: dpa)

Vielleicht wäre es ihm ein Trost, dass er einer der wenigen ist, die tatsächlich ein Leben nach dem Tod haben. Als Marke ist Storm sowohl in Husum als auch seinem Alterssitz Hanerau-Hademarschen in Holstein ein Tourismusfaktor. «Viele Storm-Veranstaltungen werden verstärkt nachgefragt», sagt Jutta Albert, Geschäftsführerin vom Husumer Stadtmarketing. Das «Kultur-Plus» unterscheide Husum von anderen Nordseestädten. Das «internationale Bildungsbürgertum» interessiere sich für Storm, selbst Asiaten kämen. «Dort wird Storm in der Schule gelesen.» Ob «Weihnachten zu Gast bei Theodor Storm» oder «Entdeckungsreise durch das Schimmelreiter-Land»: «Storm ist bei uns 365 Tage im Jahr wichtig», sagt Albert.

Hanerau-Hademarschen entdeckt das touristische Potenzial Storms

In Hanerau-Hademarschen, Sterbeort des Dichters, entdeckt man das touristische Potenzial gerade. Für Hans-Hermann Stotz, Vorsitzender des Tourismusvereins, sind Ort und Bewohner «sensibilisiert, dass wir einen Schatz haben, welcher so lange keine Beachtung gefunden hat». Viele Tagestouristen wollten auf Storms Spuren wandern, und am 125. Todestag lesen Bürger aus Storms Texten. Vor allem aber führen sie den «Schimmelreiter» als Theaterstück auf, als Trilogie über drei Jahre. Im August ist es wieder so weit, und im September zur jährlichen Storm-Tagung soll sich das Husumer Storm-Museum in ein Geisterhaus verwandeln. Das Gespenster-Thema werde gerade in der Forschung behandelt, sagt Demandt. Storm, dem Abergläubigen, hätte das wohl gefallen. Sein Geist wird dabei sein - irgendwie. (dpa)