Essen. . Gesprochen wird in „All Is Lost“ des amerikanischen Drehbuchautors und Regisseurs J.P. Chandor nicht viel. Das macht aber auch nichts: Die Bildgewalt und ein grandioser Robert Redford machen diesen Film und seinen Star zu einem Oscar-Kandidaten.
Der klare Gegensatz ist kaum zu übersehen. Da hat der amerikanische Drehbuchautor und Regisseur J.P. Chandor (40) mit dem Börsen-Thriller „Margin Call – Der große Crash“ gerade erst bewiesen, wie gut er ein Darsteller-Ensemble zu dirigieren versteht und mit welch geschliffenen Dialogen er dabei aufwarten kann.
Und dann dreht er mit „All Is Lost“ (Alles ist verloren) als nächstes einen Film über einen einzigen Menschen in Seenot, der dazu auch noch fast ohne Worte auskommt. Dass man trotzdem jedes Bild einsaugt, dass man keinen Augenblick abschweift, das liegt an der Kraft von Robert Redford, der 77 Jahre alt werden musste, um dem Publikum zu zeigen, wie großartig auch sein darstellerischer Minimalismus funktionieren kann.
Rückblenden sind verpönt
Was hat Steven Spielberg seinerzeit nicht alles veranstaltet, um das Publikum von „Castaway“ vergessen zu machen, dass sein moderner Robinson Crusoe in Gestalt von Tom Hanks sich allein auf einer Insel befindet. Bei Chandor erfährt man nicht einmal den Namen seines Protagonisten, geschweige denn etwas über seine Vergangenheit.
Rückblenden sind verpönt, man kann sich nur auf das Hier und Jetzt konzentrieren, um daraus seine Schlüsse zu ziehen. Da sind die teuren Ringe an seinen Händen, der Besitz dieser schmucken Segelyacht und – gleich zu Beginn – das Verlesen eines Abschiedsbriefes, geschrieben von einem Mann, der offenbar keine Hoffnung mehr für sich sieht.
Das ist aber auch schon das einzige Mal, dass sich Redfords Stimme für kurze Zeit tatsächlich entfalten kann. Später hört man lediglich mal ein „Fuck“ oder ein „Help“ aus seinem Mund, mehr nicht. Für anderes, wie etwa Selbstgespräche, bleibt denn auch keine Zeit, denn dieser Skipper torkelt von einer Katastrophe in die nächste.
Das Übel beginnt eher unscheinbar mit einer kleinen Kollision. Die Yacht hat mitten im Indischen Ozean einen dahintreibenden Container voll mit Sportschuhen gerammt, ein Seitenleck und eindringendes Wasser sind die Folgen. Der Segler hat noch kaum alles notdürftig abgeriegelt, da ballt sich in seinem Rücken bereits ein gefährliches Unwetter zusammen.
Angst spielt keine Rolle
Chandor registriert jeden Verlust, den der Mann allmählich erleidet, beraubt ihn nach und nach um fast alle Stücke an Zivilisation. Was bleibt, ist eine mutterseelenallein auf weiter See treibende Kreatur, die den einsamen Überlebenskampf mit aller Macht betreibt, die jedem neuen Schicksalstiefschlag mit Kraft und Willensstärke begegnet.
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Und noch als er das allmählich sinkende Schiff aufgeben muss und ins Beiboot überwechselt, zeigt er weiter Mut und Fantasie: Erst bastelt er sich eine Konstruktion, die sein Überleben mit Kondenswasser sichert; dann beginnt er mit dem Studium eines Buches, das die Navigation anhand der Sterne erläutert.
Mit dieser Kenntnis will sich der Mann einer viel befahrenen Handelsroute nähern, um dort möglicherweise auf ein Schiff zu treffen. Gelegentlich sieht man so etwas wie einen Hoffnungsschimmer in seinem Gesicht aufleuchten. Angst scheint bei diesem kreatürlichen Überlebenskampf eher kaum eine Rolle zu spielen.
Kaum zu glauben, dass der Mann, den wir hier sehen, in den 70-er Jahren mal der Charmeur des Hollywood-Films schlechthin war, dass seine besten Rollen alle auch etwas mit wendiger Beredtheit zu tun hatten, von „Der große Gatsby“ bis „Bill McKay – Der Kandit“, von „Der Clou“ bis „Zwei Banditen“.
Diesen Redford wird es nicht wieder geben, heute zeigt er uns, dass seine Faszination auch dann noch greift, wenn er kaum ein Wort sagt – bis hin zu einem großartig ausgetüftelten Ende, das viele Interpretationen zulässt. US-Kritiker erinnern bereits daran, dass dieser Schauspieler mit all seinem Charisma bisher erst einmal einen Oscar gewonnen hat – und das als Regisseur. „All Is Lost“ hat das Zeug, diesen Zustand zu ändern.
Wertung: 5 von 5 Sterne