Essen. Wie J.C. Chandor den 75 Jahre alten Robert Redford im Film „All is Los“ zum einsamen Schiffbrüchigen auf hoher See machte, erzählt er im Interview. Und verrät auch, warum die beiden bei den Dreharbeiten „nicht unbedingt die besten Freunde“ waren.

Der Regisseur J.C. Chandor schickt in seinem neuem Film „All is lost“ niemand geringeren als Robert Redford auf hohe See und lässt ihn als verzweifelten Schiffbrüchigen um sein Leben kämpfen – ein Drama, das die Schauspiel-Ikone ganz alleine stemmt und das ganz ohne Dialoge auskommt. Beim Festival von Cannes sorgte der Film, der in dieser Woche in unseren Kinos anläuft, für Jubel. Mit dem Regisseur unterhielt sich un­ser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Mister Chandor, Ihr Film geriet zum großen Überraschungscoup beim Festival von Cannes. Hatten Sie mit dieser Begeisterung gerechnet?

Chandor: Absolut nicht. Noch im Schneideraum habe ich öfters gefragt, ob dieses Projekt nicht verrückt ist.

Wie oft wurden Sie beim Drehen seekrank?

Redford und ich sind zum Glück überhaupt nicht seekrank. Allerdings ist es kein besonderes Vergnügen, auf diesem schwankenden Boot ständig durch diese kleine Linse einer Kamera blicken zu müssen. Mein Kameramann war am Ende der Dreharbeiten völlig erschöpft. Man sieht das sehr gut bei einer Szene auf dem Schlauchboot, wo das Bild immer mehr zur Seite kippt – dieser schöne Effekt war kein Regieeinfall, sondern die fehlende Kraft des Kameramanns.

Wie viel Prozent der Szenen haben Sie tatsächlich auf hoher See gedreht, was entstand im Studio oder per Spezialeffekte am Computer?

Für die emotionale Wirkung dieser Geschichte war es entscheidend, dass sich das Publikum wie an Bord von diesem Schiff fühlt und auf Augenhöhe mit Redford ist. Auf Computereffekte haben wir bewusst verzichtet. Die Segelszenen entstanden im realen Pazifik vor Mexiko, ebenso die Sequenzen mit den Haifischen, die wir auf den Bahamas gedreht haben.

Ihr Star ist nicht mehr der jüngste, wie hat er die körperlichen Strapazen gemeistert?

Redford war 75 Jahre als wir das Projekt begannen. Es war klar, dass dieser Dreh körperlich anstrengend sein würde. Genau das konnten wir für den Film, den wir chronologisch drehten, dramaturgisch einsetzen. Im dritten Akt wird deutlich, dass diese Figur sich mit seinem Schicksal nicht abfinden will. Er gibt nicht auf, auch wenn er am Ende seiner Kräfte ist – und genau diese Strapazen werden sichtbar auf der Leinwand.

Wie kam denn eine Ikone wie Redford, der seit über zehn Jahren nicht mehr für einen anderen Regisseur als sich selbst gearbeitet hat, mit Ihren Anweisungen klar?

Redford kam gerade vom Dreh seines eigenen Filmes und war davon ziemlich erschöpft. Aber er brannte darauf, einfach nur zu spielen. Die ungewöhnliche Situation bestand darin, dass es keine anderen Schauspieler gab und Redford völlig alleine war. Er musste sich also auf mich verlassen.

Hat er das wirklich getan?

Wir drehten wie bei einem Stummfilm. Ich schrie ihm ständig zu, was gleich passieren würde und auf diese Zurufe hat er entsprechend reagiert. Das führte bisweilen zu surrealen Situationen. Als ich ‚Action Pumpe’ brüllte, fragte der junge Techniker ungläubig: ‚Soll ich wirklich den Wasserstrahl auf diese Legende richten?’ Aber echte Profis wie Redford wollen keine Sonderbehandlung, solange sie darauf vertrauen, dass der Regisseur weiß, was er will – oder zumindest diesen Eindruck vermittelt. (lacht)

Wie war Ihr privates Verhältnis?

Wir waren bei den Dreharbeiten nicht unbedingt die besten Freunde. In der ersten Woche haben wir immer gemeinsam gegessen, das hat dann aber sehr schnell aufgehört. Der Dreh war anstrengend, zumal wenn man seinem einzigen Darsteller alle Anweisungen immer nur brüllend mitteilen kann.

Wie hoch schätzen Sie die Oscar-Chancen ein?

Redford war bislang nur einmal für den Oscar nominiert und hat dieses Oscar-Spiel eigentlich nie mitgespielt. Er wuchs in Los Angeles auf, aber hat sich schon in jungen Jahren von der Stadt verabschiedet. Ich werde alles dafür tun, dass er für seine Leistung die nötige Aufmerksamkeit bekommt. Entscheidend für einen Oscar ist, dass die Academy-Mitglieder sich den Film überhaupt anschauen. Allein für seinen Mut zum Risiko hat Redford jeden Preis verdient.

Wie hätten Sie sich in dieser Lage als Schiffbrüchiger verhalten?

Ich hätte mit Sicherheit viel früher aufgegeben als dieser Typ mit seinen immerhin schon 75 Jahren. Man darf ja nicht unterschätzen, dass er ganz alleine gegen dieses Schicksal kämpfen musste. In ei­ner Gruppe kann man sich gegenseitig motivieren, aber als Einzelner ist das schon verdammt schwierig.