Essen. . Fast vierzig Jahre nach der Verfilmung des Gruselschockers von Stephen King kehrt der Horror auf die Leinwand zurück. Chloë Grace Moretz spielt die Rolle des gemobbten Mädchens, das sich rächt.
Im Augenblick ihres größten Glücks erlebt die schüchterne, etwas weltfremde Carrie zugleich die größte nur denkbare Demütigung. Genau in dem Moment, in dem sie, die Außenseiterin an ihrer High School, zur Prom Queen, zur Königin des Abschlussballs, gekrönt wird, ergießt sich ein Eimer Schweineblut über sie. Wie sie endgültig gebrochen und für immer verloren auf der Bühne steht, während das Blut in Bächen an ihr herunter läuft, ist ein Bild, das man nie mehr vergisst, wenn man einmal Brian de Palmas 1976 entstandene Verfilmung von Stephen Kings Roman „Carrie“ gesehen hat.
Schiere Überwältigung
Nun hat sich die auf Außenseiter-Geschichten spezialisierte Filmemacherin Kimberly Peirce, die in ihrem Kinodebüt „Boys Don’t Cry“ überaus eindrucksvoll die tödliche Bigotterie in der US-amerikanischen Provinz entlarvt hat, an ein Remake dieses Horrorklassikers gewagt. Und man spürt sehr schnell, wie schwer dessen Schatten auf diesem Projekt lastet. Um sich dennoch aus ihm zu lösen, setzt Peirce auf schiere Überwältigung. So zeigt sie die Szene, in der das Blut auf die von Chloë Grace Moretz gespielt Carrie herabstürzt, gleich dreimal hintereinander. Die Vernichtung einer jungen, sich gerade erst findenden Frau wird zu einem apokalyptischen Ereignis, das hier einen wahren Weltenbrand nach sich zieht.
Diese Verdreifachung ist natürlich zu viel. Dennoch gilt die alte Regel, dass weniger oft mehr sei, hier nicht. Kimberly Peirce übertreibt zwar ständig, doch das mit einer solchen Überzeugung und Konsequenz, dass eben diese Maßlosigkeit zum entscheidenden Stilmittel wird. Schließlich sind auch die Schikanen, denen Carrie ausgesetzt ist, maßlos. Die ebenso eingebildete wie rachsüchtige Chris Hargensen, die bei Portia Doubleday fast schon etwas von einer antiken Furie hat, mobbt ihre Mitschülerin nicht einfach. Sie setzt vielmehr alles daran, sie gänzlich zu zerstören. Und das beginnt schon lange vor der perfiden Attacke beim Abschlussball.
Außenseiter müssen in Kimberly Peirces Filmen immer wieder einen extrem hohen Preis dafür zahlen, dass sie anders sind. Wie schon in „Boys Don’t Cry“ blickt die Filmemacherin voller Entsetzen auf eine Welt, die Abweichungen von der Norm anscheinend nur bestrafen kann. Selbst die, die wie Carries Mitschülerin Sue Snell (Gabriella Wilde) und ihre Lehrerin Miss Desjardin (Judy Greer) wirklich etwas verändern wollen, sind machtlos, angesichts der Maschinerie des Mobbing, die, einmal in Bewegung gesetzt, nicht mehr zu stoppen ist.
Julianne Moore mit Inbrunst und Härte
Es ist schon irritierend mit anzusehen, wie sich Carries fanatische Mutter Margaret White nicht nur in religiösem Eifer verliert, sondern sich auch noch gezielt selbst schneidet und verletzt. Aber Julianne Moore spielt diese Schmerzensreiche, diese sich mit jeder Faser ihres geschundenen Körpers nach Erlösung Sehnende, mit einer Inbrunst und zugleich einer Härte, die absolut schlüssig sind. Wenn sie Carrie bestraft, dann meint sie damit auch immer sich selbst. So offenbart sich in Moores Porträt einer Zerbrochenen, die ihre Verletzungen und ihr Leid an ihre Tochter weitergibt, ein ewiger Kreislauf der Zerstörung.
Kimberly Peirces Schreckensszenario ist trotz aller mahnenden Szenen und Worte aber nicht nur ein Statement gegen Mobbing und religiös-geprägten Fanatismus. Sie geht mindestens einen Schritt weiter und verwandelt Stephen Kings Roman in eine irdische Höllenvision, aus der es kein Entkommen gibt. Weder für die Guten noch für die Bösen, und erst recht nicht für Chloë Grace Moretz’ Carrie, diese traurigste und zornigste aller traurigen und zornigen Leinwand-Teenagerinnen.
Als Carrie ihre telekinetischen Fähigkeiten entdeckt und vorsichtig erprobt, blüht Chloë Grace Moretz geradezu auf. Eine wundervolle Unschuld liegt in diesen kleinen Augenblicken der Freiheit, in denen sich der verlachten Jugendlichen eine neue Welt eröffnet. Nur erweist sich diese Gabe als Fluch. Und so verwandelt sich Chloë Grace Moretz einmal mehr im Lauf ihrer kurzen Leinwandkarriere in einen Racheengel. Doch anders als die idealisierte Anti-Heldin der „Kick-Ass“-Filme muss Carrie erfahren, dass Rache und Gewalt nichts Erlösendes haben.
- Wertung: 4 von 5