Los Angeles. . „Hugo Cabret“ ist eine Verbeugung vor der Traumfabrik Kino. Elf Oscar-Nominierungen für Martin Scorseses ersten Mehr-Generationen-Film sind der Lohn. Verdientermaßen - davon können sich deutsche Filmfreunde ab 9. Februar in 3D überzeugen.
Ein Film für Träumer über das Träumen. Ein Film über die Liebe zum Kino und seinen im digitalen Zeitalter längst vergessenen Urvätern. Ein Film mit Gesichtern und Szenen, die Groß und und Klein von der ersten Minute das Herz öffnen, ohne es mit penetrant viel Zuckerguss gleich wieder zu verschließen. Solche Filme sind eine rare Wohltat. Martin Scorsese, der lebenden Hollywood-Legende, ist so einer jetzt gelungen. Und das auch noch in 3D-Technik. „Hugo Cabret“, verfilmt nach dem Kinderbuch-Bestseller „Die Entdeckung des Hugo Cabret“ von Brian Selznick, erzeugte bereits beim US-Start Ende November bei Millionen Kinogängern beim Nachhausegehen so wohlige Gefühle, dass manche auf der Stelle umkehrten und sofort eine zweite Eintrittskarte lösten. Elf Oscar-Nominierungen sind darum keine wirkliche Überraschung.
Der himmlische Stoff über einen zwölfjährigen Waisenjungen, der versteckt im Glockenturm eines Pariser Bahnhofs lebt und dort das Geheimnis seines verstorbenen Vaters (verkörpert von Jude Law) hütet, hat die Qualität eines Rohdiamanten. In Scorseses Händen, die gewöhnlich blutbefleckte Erzählungen aus mafiotischen und gewaltbereiten Millieus durchwalken („Raging Bull“, „Goodfellas“, „Departed“, „Shutter Island“), wird daraus ein Juwel.
Staunen, Hoffen und bedingungslose Anteilnahme
Von der ersten Kamerafahrt an, die das winterliche Paris um 1930 bis in die quirlige Schalterhalle des Bahnhofs von Montparnasse vermisst und der Schlusssequenz ebenda, wird dem Betrachter Staunen, Hoffen und bedingungslose Anteilnahme abverlangt. Sparsam brillierende Schauspieler, vor allem die jungen Talente Asa Butterfield und Chloë Grace Moretz, entwickeln eine Kunst, die den erwachsenen Darstellern um Ben Kingsley, Sascha Cohen Baron, Christopher Lee und (kaum wieder zu erkennen) Johnny Depp alles abverlangen.
Wie Selznick in seinem Buch, so huldigt Regisseur Scorsese jenen Idealisten, ohne die Hollywood heute womöglich noch immer ein trostloses Stück Ackerland mit Küstenblick wäre. Georges Méliès (berührend und absolut Oscar-reif verkörpert von Ben Kingsley), der zu Beginn des Jahrhunderts weltberühmt wurde mit seinen phantastischen Stumm-Filmen, bekommt in „Hugo Cabret“ ebenso ein Denkmal gebaut wie der am Wolkenkratzer-Uhrzeiger baumelnde Harold Lloyd oder die Pioniere Auguste and Louis Lumière.
Dank Scorsese könnte es also gelingen, der heutzutage mit X-Boxen, Straight Shootern und Handy-Cam-Porno aufwachsenden Generation ohne erhobenen Zeigefinger den unvergleichlichen Charme von Méliès’ 1902 gedrehtem Stummfilm-Klassiker „Eine Reise zum Mond“ nahezubringen. Zur Erinnerung: jenes Werk, in dem ein Raumschiff, Autsch, ausgerechnet im rechten Auge des Mannes im Mond landet. Hoch lebe „Hugo Cabret“! Ein cineastischer Liebesbrief, den man liest, weglegt. Und immer wieder liest. In deutschen Kino ab 9. Februar zu sehen. Es lohnt sich!