Essen. . Niemand hätte bis vor kurzem geglaubt, dass ein schwarzweißer Stummfilm im Kino noch einmal Erfolg haben würde. Aber bereits in Cannes begann im Spätsommer der Triumphzug von „The Artist“ aus Frankreich, als Hauptdarsteller Jean Dujardin eine Palme bekam.
Wenn die welke Leinwand-Diva Norma Desmond in Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“ von ihrer großen Zeit beim Stummfilm schwärmt, dann weiß sie warum: „Wir brauchten keine Dialoge, wir hatten Gesichter!“ Der französische Schauspieler Jean Dujardin, dessen Ruhm noch wenig über die Landesgrenzen hinaus gedrungen ist, hat so ein sprechendes Gesicht. Und dem Regisseur Michel Hazanavicius hätte sicher nichts Besseres einfallen können, als mit diesem Mann tatsächlich einen Stummfilm zu drehen. Nun ist Dujardin in „The Artist“ als sprachloser Hollywood-Star George Valentin das Ereignis schlechthin. Mit seinem unverschämt charmantem Siegergrinsen wirkt er wie ein Wiedergänger des seligen Douglas Fairbanks.
Wende im Kinobetrien
Nun ist es kein geringes Wagnis, in eine Kinowelt aus dreidimensionalen Blockbustern mit krachendem Dolby Surround Sound sich mit einem schwarzweißen Stummfilm in bescheiden kleinen Bildern zu wagen. Bei Testvorführungen in den USA und in England sollen denn auch bereits zahlreiche Zuschauer dies als Mangel empfunden und den Saal verlassen haben. Wer blieb, erlebte mit „The Artist“ ein geradezu unverschämt stilsicheres Stück Nostalgie, glänzend unterhaltend von der ersten bis zur letzten Minute.
Der Film erzählt von der grundsätzlichen Wende im Kinobetrieb mit dem Aufkommen des Tonfilms. Für einen nach Hollywood importierten Star wie George Valentin, gerade noch bejubelt für seinen Abenteuerfilm „The Russian Affair“, bedeutet diese Entwicklung das Aus. Mit seinem französischen Akzent gilt der einstige Herzensbrecher als untauglich für die neue Technik. Valentins Lachen wird zusehends unsicherer, als er merkt, dass der Ton kein kleines Intermezzo, sondern die Zukunft des Kinos ist.
Tänzerin macht Karriere
Während der Stern des einstigen Glamour-Stars sinkt, erlebt die einstige Tänzerin Peppy Miller (Bérénice Bejo) im Tonfilm eine kometenhafte Karriere. Sie hat Valentin viel zu verdanken, denn ein zufällig entstandenes Bild mit den beiden machte sie in Studiokreisen überhaupt erst bekannt. Und auch der kleine Schönheitsfleck auf ihrem Gesicht, für den das Publikum so schwärmt, war die Idee des Stummfilmstars. Als sie den mittlerweile Geschiedenen nun aufsucht in seinem schäbigen Appartement, dann wird aus diesem Samariterbesuch schließlich eine große Liebe, die zuletzt auch auf der Leinwand zu bewundern ist. Allen Gesetzen des Tonfilms zum Trotz.
Ein Bildformat, das es gar nicht mehr gibt
Es zahlt sich aus, dass Regisseur Hazanavicius und Hauptdarsteller Dujardin bereits ein erprobtes Team sind. Gemeinsam haben sie zwei ironische Agentenkomödien um den sich immer ein wenig selbst im Weg stehenden Spion „OSS 117“ gedreht, die den Geist der 1960-er Jahre atmen. Das gab beiden Mut, die Zeituhr nun noch weiter zurückzudrehen und die Kinos mit einem Format zu konfrontieren, dass es eigentlich gar nicht mehr gibt. Die frühen Bilder waren so klein, dass man bei der Projektion nun mit einer Art schwarzem Bilderrand projizieren muss. Die Kunst des Kameramanns Guillaume Schiffman sorgt dafür, dass die Eleganz der Aufnahmen dafür umso stärker wirkt.
Weil in „The Artist“ niemand sprechen muss, gibt es auch keine Sprachbarrieren bei den Schauspielern. Wohl noch kein französischer Film war von so vielen Amerikanern bevölkert, allen voran John Goodman als Sinnbild des wuchtigen Hollywood-Produzenten und James Cromwell als stets präsentem Chauffeur. Einen aber gibt es, der gar nicht sprechen könnte: den kleinen Terrier Uggy, der Valentins anhänglichen Hund Jack mit großer Leidenschaft Gestalt verkörpert. In Cannes erhielt er dafür den „Palm Dog Award“. Einer von vielen Preisen, die dieses Juwel der Leinwand auf dem Weg zum „Oscar“ bereits gewonnen hat.