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Im Vier-Jahreszeiten-Film „Another Year“ gibt nicht Vivaldi den Ton an, sondern ein altes englisches Ehepaar, das sein Glück auch beim Abwasch findet. Und Regisseur Mike Leigh schaut dem Leben einfach bei der Arbeit zu.
Der Film ist leicht zu beschreiben, denn „Another Year“ zeigt im Grunde nicht mehr als vier Sonntage zu verschiedenen Jahreszeiten im Leben eines alten Ehepaares in England. Da der Regisseur aber Mike Leigh heißt, ist allein diese grobe Inhaltsangabe bereits ein Versprechen: Selbst einfachste Sujets entwickeln bei diesem Chronisten britischen Lebens einen Reichtum an Facetten und Beobachtungen. Am Ende mag äußerlich zwar nicht viel geschehen sein, dafür aber sieht man das Leben bei der Arbeit, erkennt persönliche Dramen ebenso wie Momente von Glück und Trauer.
Satte Farben und Alltagskomik
Mit seinem letzten Film „Happy-Go-Lucky“ und dem darin vorherrschenden demonstrativen Optimismus der Hauptfigur hatte Leigh seine Bewunderer verstört. Er, der bisher eher bekannt war für graue Sozialdramen („All or Nothing“), überraschte das Publikum hier durch satte Farben und Alltagskomik. „Another Year“ nun bezieht seine positive Grundstimmung aus dem zentralen Paar des Films. Der Geologe Tom (Jim Broadbent) und die Therapeutin Gerri (Ruth Sheen) haben im Leben das große Los gezogen, sind sich selbst nach Jahrzehnten einer Ehe immer noch herzlich zugetan, haben gute Jobs, einen wohlgeratenen Sohn und teilen das Engagement für ihren Gemüsegarten.
Im Frühjahr laden die beiden Gerris Arbeitskollegin Mary ein, die zu viel trinkt und über ein verkorkstes Leben klagt. Im Sommer kommt Toms Jugendfreund Ken zu Besuch, der seiner Pensionierung mit gemischten Gefühlen entgegensieht und mit seinem Übergewicht und Bierkonsum alles dafür tut, dem Herzinfarkt das Feld zu bestellen. Im Herbst kann der als Rechtsanwalt praktizierende Sohn Joe den Eltern mit Katie endlich eine Freundin präsentieren. Im Winter schließlich versammelt man sich bei der Beerdigung von Toms Schwägerin.
Viele feine Tupfer machen den Film besonders
So sehr es auch Spaß macht und das Herz erwärmt, wenn man Tom und Gerris Glück beim Abwasch und beim Gemüsestechen beobachtet, auf Dauer wirkt so viel traute Zweisamkeit denn doch redundant. Eine Chance, die sich die wunderbare Lesley Manville als traurige Mary nicht entgehen lässt. Noch in jeder Jahreszeit ist sie mit Hingabe damit beschäftigt, ihr Dasein in den Griff zu bekommen, während das Schicksal es wahrlich nicht gut mit ihr meint.
Das kleine Auto, das sie sich anschafft, steht mehr in der Werkstatt als auf der Straße. Die fatale Hoffnung, dass Joe trotz des Altersunterschiedes eine Zuneigung für sie empfinden könnte, zerplatzt wie eine Seifenblase. Und im Winter endlich muss sie voller Bitterkeit erkennen, dass sie nie ein fester Bestandteil des Idylls von Tom und Gerri sein wird, sondern immer nur geduldeter Gast. Manvilles starke Auftritte sorgen dafür, dass das immergrüne Glück der Gastgeber ein wenig relativiert wird, dass man fast meint, einen Hauch von Überheblichkeit bei beiden spüren zu können. Es sind diese feinen Tupfer, die Mike Leighs Film so besonders machen.