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Regisseur Darren Aronofsky spielt in „Black Swan“ virtuos mit Identitäten – und Natalie Portman tanzt dazu Spitze, bis man die Gelenke knacken hört. Ihr besonderer Einsatz macht sie zur Oscar-Favoritin.

Kaum eine Kunstform eignet sich derart gut für düstere Filmdramen wie das Ballett. Die Besessenheit, mit der hier junge Menschen ihre Körper malträtieren, um am Ende ei­ne Illusion von Schwerelosigkeit zu erzeugen, kann man sehr leicht auch in wahnhaftes Verhalten umdeuten. Womit der Schritt zum Horror nur ein kurzer ist. Der Regisseur Darren Aronofsky mag solche As­soziationen gehabt haben, als er an die Realisierung von „Black Swan“ ging, vielleicht hat er auch den furchtbaren Zauber noch geschmeckt, den ein Film   wie „Die roten Schuhe“ schon 1948 beschworen hat – für immer tanzen zu müssen, wenn man die Schuhe einmal angelegt hat.

In „Black Swan“ nun lässt Aronofsky Tschaikowskys Hand­lungsballett „Schwanensee“ beängstigende Realität werden. Für die junge Nina (Natalie Portman) scheint ein Traum in Erfüllung zu gehen: Impresario Thomas Leroy (Vin­cent Cassel), nicht eben ein kleiner Macho, will sie in seiner nächsten Produktion als neue Primaballerina her­ausstellen. Allerdings soll sie nicht nur den weißen Schwan tanzen, sondern auch noch den finsteren schwarzen Ge­genpart dieser verzauberten Prinzessin. Dafür aber scheint bei der verbissen ehrgeizigen Tänzerin noch zu wenig dunkle Emotion vorhanden zu sein. Was Wunder, wenn die späte Jungfrau daheim noch immer im Bannkreis ihrer ehrgeizigen Mutter (Barbara Hershey) lebt und ihr in Pink gehaltenes Zimmer vor Stofftieren nur so überquillt. Zu den Hausaufgaben, die Leroy der bisher völlig asexuellen Nina mit auf den Weg gibt, gehört daher auch die Aufforderung, sich ruhig einmal selbst zu befriedigen.

Welche Entwicklung der Film nun nehmen wird, spürt man spätestens beim Auftauchen des neuen Ensemblemitglieds Lily (Mila Kunis), die in jeder Beziehung das genaue Gegenteil von Nina ist: Sie raucht, nimmt Drogen, reißt Männer auf und verhilft schließlich auch der unerfahrenen Kollegin zu ersten sexuellen Erfahrungen. Die Kamera von Matthew Libatique konfrontiert uns dabei mit Bildern, die völlig offen lassen, ob wir nun der Realität beiwohnen oder dem Spiel mit verschiedenen Identitäten, ei­ner reinen Kopfgeburt Ninas. Hinzu kommt, dass auf dem Rücken unserer schwer durchschaubaren Heldin plötzlich so etwas wie Kratzspuren auftauchen. Bricht sich da am Ende gar ein Schwan mit seinen Flügeln Bahn?

Oscar-Favoritin

So sehr Aronofsky uns in seinem Film auch mit hinreißenden Tanzszenen verwöhnt, so real bildet er auch die quälende Realität ab. Man hört die Gelenke knacken, wenn die Handkamera ganz nahe an die Tänzer heranrückt, man sieht sie Dehnübungen machen, um den Schmerz zu lindern, man erblickt Ninas blutige Zehen als Resultat fortgesetzten Spitzentanzes. Und nicht zuletzt müssen wir zu Beginn die Degradierung der alten Ballerina (Winona Ryder) ertragen, der Leroy nicht nur ihre Aufgabe, sondern auch den Platz in seinem Bett nimmt. Man altert jung in diesem Job.

„Black Swan“ jedoch wird nicht nur durch Regie und Ka­mera zu einem Ereignis, sondern vor allem durch die Leistung von Natalie Portman. Die frühere Ballettschülerin hat ein Jahr vor Beginn der Dreharbeiten ihr Training wieder auf­genommen, hat für diese Rol­le gekämpft wie Nina für den Schwan. Bei der Vergabe der Golden Globes hat sich diese Anstrengung bereits ausgezahlt, und auch für den Os­car im nächsten Monat gilt sie als starker Favorit. Die Juroren lieben Akteure, die an ihre Grenzen gehen.

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