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Manchmal sind es nicht besonders schlechte, sondern richtig interessante Filme, die nicht ins Kino kommen, weil sie keinen Verleih finden. Gerade in diesen Tagen gibt’s einige empfehlenswerte Filme, die ihre Premiere auf DVD erleben.

Auch wenn wir manchmal stöhnen, wenn wieder mal in einer Woche 15 Kinofilme gleichzeitig starten – eigentlich wollen wir viel mehr sehen. Vor allem all jene Filme, die keinen Verleih gefunden haben und ihre Premiere deshalb auf DVD erleben. Nicht das schlechteste Umfeld in diesen Tagen, denn da gibt es Entdeckungen jede Menge zu machen. Eine Auswahl.

Die Problematik gespaltener Persönlichkeiten scheint wieder en vogue im Kino. In „Shelter“ von Måns Mårlind und Bjorn Stein wird Julianne Moore als Psychiaterin Cara mit dem Patienten Adam (Jonathan Rhys Meyers) konfrontiert, der die unterschiedlichen Identitäten nur so aus dem Ärmel schüttelt. Anfangs fühlt man sich schier aufgesogen von diesem Film, denn alle Wesensformen Adams beruhen auf Mordopfern. Dann aber mutiert der Psycho-Thriller mehr und mehr zu einem okkulten Horrorfilm, der uns den rechten Glauben weisen will: Wer schön betet, dem wird schon nichts geschehen.

Die Frau im Manne, der Mann am Abgrund

Cillian Murphy in „Peacock“. Foto: Kinowelt
Cillian Murphy in „Peacock“. Foto: Kinowelt © Kinowelt

Mehr als nur ein Hauch von Norman Bates in „Psycho“ weht durch Michael Landers „Peacock“. Der wandlungsfähige Cillian Murphy („28 Days Later“) verkörpert darin den Bankangestellten John Skillpa, der den Tod der Mutter nicht überwunden hat. Daheim verwandelt er sich deshalb regelmäßig in Emma, die seine Sehnsucht nach verlorener Mutter und noch nicht gefundener Gefährtin manifestiert. Landers kreiert mit bekannten Schauspielern (Susan Sarandon, Ellen Page, Bill Pullman) einen gemütlichen Kleinstadtfilm, in dem die Dominanz der Frau im Manne allmählich beängstigend anwächst: Emma will John endlich loswerden.

Auch Brad McCallum (Michael Shannon) hat eine dominante Mutter, die wie ein Nachtmahr auf seiner Existenz hockt und die er deshalb eines Tages mit dem Schwert tranchiert. Wie es zu dieser Tat kommen konnte, das erzählt Werner Herzog in „My Son, My Son, What Have Ye Done“ in Form von Rückblenden. Brads Freundin (Chloe Sevigny), der Leiter seiner Theatergruppe (Udo Kier) und diverse Nachbarn schildern dem ermittelnden Beamten (Willem Dafoe) den Charakter eines Mannes, der am Rande des Wahnsinns lebt. David Lynch „präsentiert“ diesen Film, und die deutsche Kinolegende Herzog ist sichtlich ein Geistesverwandter des Filmemachers: Das aggressive Rosa der Flamingos, die überall erscheinen, spricht ebenso dafür wie die absurde Komik mancher Szenen.

„My Son, My Son, What Have Ye Done“ heißt der Film von Werner Herzog mit Chloe Sevigny und Michael Shannon. Foto: Matt Dinerstein
„My Son, My Son, What Have Ye Done“ heißt der Film von Werner Herzog mit Chloe Sevigny und Michael Shannon. Foto: Matt Dinerstein © Kinowelt

Als eines der größten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs gilt die mehr als zweijährige Belagerung Leningrads durch deutsche und finnische Truppen. Die russisch-britische Koproduktion „Leningrad - Die Blockade von Aleksandr Buravsky versucht in düsteren Bildtableaus, dem Betrachter das Siechtum der Bevölkerung angesichts ständig geringer werdenden Brotrationen geradezu körperlich spürbar zu machen. Leider ist er aus Vermarktungsgründen zu oft mit dem Schicksal der Britin Kate Davis (Mira Sorvino) inmitten der hungernden Stadt beschäftigt, die zufällig die Tochter eines russischen Konterrevolutionärs ist. Armin Mueller-Stahl gibt die verzichtbare Standardausgabe des befehlshörigen Nazi-Generals.

Scheue Lager-Liebe und Ahnengeschichte live

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In der britisch-deutschen Produktion „Das Lager“ von Tom Roberts ist der Krieg 1946 zwar vorbei, das Leid der Soldaten aber noch nicht. 50 deutsche Kriegsgefangene werden hier in einem Lager abgeladen, dessen Besatzung deshalb ausschließlich aus Frauen besteht. Ein halbes Hundert Männer unter weiblicher Aufsicht, das wäre im amerikanischen B-Picture der 70er Jahre ein Grund für Sex in Hülle und Fülle gewesen. Hier aber geht man geradezu diskret vor, eher scheu wird von der Zuneigung zwischen deutschem Offizier (Thomas Kretschmann) und Lagerärztin (Vera Farmiga) erzählt. Ach ja, Daniel Brühl ist auch dabei und entpuppt sich als strammer Spät-Nazi.

Im Kriegsjahr 1944 wird in „From Time to Time“ von Julian Fellowes der 13-jährige Tolly von London aufs Land verschickt, wo er auf dem Landsitz der Familie bei der Großmutter (Maggie Smith) ausharren soll. Tollys Leben hat erste Verwundungen erlitten: Der Vater ist im Krieg verschollen. Gemeinhin finden im britischen Kino junge Menschen in solchen Situationen den Pfad in wundersame Märchenländer, in Parallelwelten voller seltsamer Gestalten. Auch Tolly entflieht der Gegenwart, aber er landet nicht bei Jesus-Löwen oder Trollwesen, sondern im sehr realistisch geschilderten 18. Jahrhundert. Dort erlebt Tolly Ahnengeschichte live, lernt viel über gesellschaftliche Standesdünkel und knüpft Bindungen zu bislang unbekannten Vorfahren. Eine gelungene Romanverfilmung, die Spaß macht und jede Menge Spannung zu bieten hat.