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Sonntag wird in Los Angeles der Emmy verliehen. 17 mal ist die Serie „Mad Men“ für den höchsten TV-Preis der USA nominiert. Sie gehört zu den Produktionen, die das Gefühl nähren, Fernsehen sei das bessere Kino - und Serien-Junkies süchtig machen.

Es ist vielleicht das Schmutzigste, was je fürs Fernsehen produziert worden ist. Wenn es geregnet hat in „Deadwood“, South Dakota, stehen die Menschen wie das Vieh knietief im Matsch, wenn’s trocken ist, überzieht die dicke Staubschicht alles. Die Gier nach Gold und andere niedere Gelüste sind allgegenwärtig, und dass das bei den Bewohnern der Siedlung nicht die die besten Eigenschaften hervorbringt, versteht sich von selbst. Wer bei Auseinandersetzungen den Kürzeren zieht, wird im

Schweinestall entsorgt, Allesfresser sind eben auch Aasfresser. Frauen leben fast nie recht, fast immer schlecht in Deadwood, und wenn sich die drei großen Bevölkerungsgruppen – Säufer, Huren und Ganoven – unterhalten, kriegt man schon vom Zuhören rote Ohren; wie gesagt, Schmutzigeres hat’s im TV selten gegeben.

Nach drei Staffeln dieser Western-Serie des amerikanischen Bezahl-Senders HBO war Schluss, und ins deutsche Frei-TV hat es Deadwood nie geschafft. Aber auf DVD, sogar mit deutscher Synchronisation, und so unterhält sie diejenigen, die hervorragend gemachte Fernsehserien mögen – und in Deutschland, visuell gesprochen, mangelernährt wären. HBO hat mit seinen aufwändig produzierten Serien seit Ende der 90er-Jahre Kritiker und Publikum begeistert und den Weg geebnet für Fernseh-Fiktion, die weitaus radikaler Neues probiert als Hollywood. Inzwischen sind auch andere Sender mutiger geworden und hoffen am Sonntag wieder auf Belohnung: Am 29. August feiern sich die Fernseh-Macher der USA selbst, die Academy of Television Arts & Sciences vergibt in Los Angeles zum 62. Mal den höchsten TV-Preis des Landes, den Emmy, und Serien-Süchtige bekommen Ideen für Nachschub.

So sauber, wie sie wirken, sind die Dinge in „Mad Men“ längst nicht

Zum Beispiel „Mad Men“: 2008 und 2009 als Beste Drama-Serie ausgezeichnet, ist die dritte Staffel jetzt auch wieder nominiert – in 17 Kategorien. Die Produktion des Kabelsenders AMC erzählt die Geschichte von Don Draper, dem Art Director einer New Yorker Werbeagentur in den frühen 60ern. So sauber, wie am detailverliebt designten Set alles aussieht, ist es natürlich längst nicht: Don Draper (als sexy-cooles Mysterium gespielt von Jon Hamm) verbirgt seine Abgründe erfolgreich hinter gestärkten Hemden und pomadigem Scheitel, seine Frau Betty (January Jones) unter raschelnden Petticoats und betoniertem Platin-Blond. Nackte Haut und dreckige Flüche gibt’s fast gar nicht - was nicht gesagt wird, hallt dafür umso lauter nach. Die erste Staffel der fesselnden Serie gibt es mit deutscher Synchronisierung - sie wird ab Oktober auch auf ZDF neo laufen - Staffeln zwei und drei bisher nur im amerikanischen Original, und wie bei allen gut gemachten Mehrteilern ist es die einzig akzeptable Form, einzutauchen – wer will schon auf die nächste Folge warten, wenn der Abend noch jung und das Fernseh-Programm voller schlecht singender Popstars-Asprianten ist?

„Die Sopranos“ - detailreiches Sittengemälde

Matthew Weiner hat „Mad Men“ entwickelt und das Drehbuch für die Pilotfolge schon 1999 geschrieben. TV-Produzent David Chase las es und war so begeistert, dass er Weiner engagierte – für die Mitarbeit an Chases bahnbrechender HBO-Serie „Die Sopranos“. Sechs Staffeln lang verfolgten die Fans Mafioso Tony – als Grobklotz fein nuanciert gespielt von James Gandolfini – und sein Leben in New Jersey: Wegen seiner Panikattacken und Depressionen begibt der Junior-Pate sich in psychotherapeutische Behandlung, wenn er nicht gerade seine Frau betrügt, in seiner als Strip-Bar getarnten Geldwaschanlage nach dem Rechten sieht oder jemanden umbringen muss. Das ist brutal und spannend und dramatisch und absurd lustig, vor allem aber ist es ein detailreiches Sittengemälde, das Fernsehgeschichte geschrieben hat.

In „Breaking Bad“ verdingt sich ein Chemielehrer als Drogenkoch

Nur nicht in Deutschland. Drei Staffeln lang versuchte das ZDF, die Sopranos unters Fernsehvolk zu bringen, schließlich auf dem unattraktivsten möglichen Sendeplatz, Sonntagnacht. Viele in den USA erfolgreiche Serien scheinen in Deutschland nicht zu funktionieren - außer bei denen, für die die deutschen Produktionen nicht funktionieren und die dann die DVD-Verkäufe in die Höhe treiben.

Vielleicht für „Breaking Bad“ (läuft ab Oktober auch auf Arte): Ein Chemielehrer verdingt sich nach seiner Lungenkrebs-Diagnose im Zweitjob als Drogenkoch, um seine Familie finanziell abzusichern. Oder für „True Blood“ mit den heißen Vampir-Geschichten für Erwachsene, in der die Untoten gegen ihre Diskriminierung kämpfen, weil sie sich ja inzwischen ganz ungefährlich von synthetischem Blut ernähren könnten – und trotzdem dem viel anregenderen Menschenblut nicht widerstehen können. Oder für „Nurse Jackie“: Sie sticht aus der Reihe der Krankenhaus-Serien heraus, weil die Sympathieträgerin, Notaufnahme-Schwester Jackie Peyton (Edie Falco), ihre Dienste zwischen durchgedrehten Patienten, unfähigen Ärzten und den Schuldgefühle wegen ihrer Affäre mit dem Klinik-Apotheker nur mit extensivem Medikamentenmissbrauch durchsteht.

„The Wire“ – die beste TV-Serie aller Zeiten?

Süchtig machende Substanzen treiben auch die Handlung in der HBO-Serie „The Wire“ an; nicht wenige Fernseh-Junkies halten den Krimi in fünf Staffeln für die beste TV-Serie, die je produziert worden ist. Ein paar Detectives der Polizei von Baltimore, bei denen der Zynismus noch nicht die letzte Spur Idealismus vernichtet hat, versuchen, einen Drogen-Großhändler zur Strecke zu bringen. Es ist kalt in Baltimore, es ist dunkel, und auch hier ist es schmutzig: grobkörnige Geschichten mit fein gezeichneten Charakteren, komplexe, verflochtene Handlungsstränge voller Spannung, Drama und Sozialkritik, großartig geschrieben und gespielt. Im deutschen Fernsehen ist sie bisher nur im Pay-TV unter annährendem Ausschluss der Öffentlichkeit gelaufen. Immerhin wird’s die DVDs wohl irgendwann auch Deutsch synchronisiert geben. Dann gehen zwar die düstersten Schmutz-Nuancen zwischen Getto- und Bullen-Slang verloren, aber die Sucht lässt sich bequemer befriedigen - die nach Killer-Serien.