Essen. . Mit „Selma“ kommt eine Biografie über den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King ins Kino, die die Protestmärsche der 1960er-Jahre beleuchtet.

Es klingt unglaublich: In den 50 Jahren seit den dramatischen Ereignissen vom März 1965 in Selma, Alabama hat es noch keine Verfilmung dieses Wendepunktes der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA gegeben. Nun kommt sie endlich ins Kino – als Produktion mit vergleichsweise schmalem 20-Millionen-Dollar-Budget und einem britischen Hauptdarsteller, der auch für den Oscar nominiert ist. David Oyelowo spielt Martin Luther King mit beeindruckender Präsenz als Prediger, Strippenzieher und charismatischer Anführer der Bürgerrechtler.

Die haben sich die Kleinstadt Selma in Alabama auserkoren, um hier beispielhaft vorzuführen, dass das gerade eben eingeführte Wahlrecht für Schwarze in den USA nur auf dem Papier steht. Oprah Winfrey, Mitproduzentin des Zwei-Stunden-Epos, führt gleich zu Beginn vor, mit welchen Schikanen Schwarze rechnen müssen, die sich ins Wählerregister eintragen lassen wollen. Weil in dieser Kleinstadt der örtliche Sheriff Jim Clark mit besonders augenfälliger Brutalität gegen jeden Protest der Schwarzen vorgeht, wählt der frisch gebackene Friedensnobelpreisträger King diese Stadt zum Zentrum seines Marsches für das Wahlrecht der schwarzen Amerikaner.

Bullenpeitsche und Baseballschläger

Ein Protestmarsch von dort in die 80 Kilometer entfernte Hauptstadt von Alabama soll es sein. Doch der Marsch wird auf einer Flussbrücke von örtlicher Polizei und den Truppen des Bundesstaates blutig niedergeknüppelt, mit Bullenpeitschen und Baseballschlägern, die mit Stacheldraht umwickelt sind: Die Bilder von dem staatlichen Gewaltakt an jenem „Bloody Sunday“ der USA schafften es damals live in die Fernsehkanäle: Das Land war erschüttert.

King lässt den Marsch zwei Tage später erneut beginnen, dieses Mal marschieren auch viele Weiße mit, die Polizei gibt den Weg frei – und King kehrt um. Vielleicht, weil er eine Falle wittert, vielleicht, weil er nachgeben will. Die Motive bleiben im Dunkeln, anders als der dritte Marsch, der schließlich zum Triumphzug wird.

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Für Regisseurin Ava DuVernay ist das Projekt der erste große Spielfilm – und sie inszeniert das Drama um Selma als sepiabraune, detailreiche Geschichtsstunde mit vielen starken Dialogszenen und Reden Kings. Anspielungen auf die aktuellen Rassenkrawalle in den USA sucht man allerdings vergeblich – einziger Anklang an die Moderne ist ein moderater Rap im Abspann, ein willkommener Kontrast zu reichlich dramatischer Geigenmusik zwei Stunden zuvor.

So poliert DuVernay da ein historisches Schmuckstück auf, das für ein Regiedebüt fast erschütternd routiniert wirkt, auch wenn es an einigen Stellen etwas fragmentarisch daherkommt. Sie schafft klare, schwarz-weiße Rollenverteilungen, auch wenn es innerhalb der schwarzen Community hier und da mal Konflikte über den rechten Weg gibt. Klar ist immer: King wird es mit einer wohldosierten Ansprache am Ende schon richten und mit leicht tränengeröteten Augen von der Kanzel herunter die richtigen Worte finden. Gut und Böse sind leicht auszumachen: Alabamas Gouverneur George Wallace (Tim Roth) ist ein schmieriger Politiker, Stan Houston der brutale Ortssheriff Jim Clark und Carmen Ejogo eine verständnisvoll-verzeihende Coretta Scott King.

Politische Interessen

Einzig Tom Wilkinson als US-Präsident Johnson kommt ein wenig ambivalenter daher: Als Gefangener zwischen öffentlicher Wahrnehmung und politischen Interessen. Dass er – wie in diesem Film – mehr ein von den Forderungen Kings Getriebener war als ein Akteur, der die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen befördert hat, ist in den USA bereits Gegenstand von Debatten, die DuVernays Film Geschichtsfälschung zu Ungunsten Johnsons vorwerfen.

Wertung: drei von fünf Sternen