Essen. . Der Film “Into the Woods“ ist die Verfilmung des erfolgreichen Broadway-Musicals mit Meryl Streep und Johnny Depp und führt in die Welt der Märchen.
Es geschieht sicherlich nicht oft, dass der deutsche Trailer zu einem verfilmten US-Musical geradezu peinlich verschweigen möchte, dass auf der Leinwand vor allem gesungen wird. Das Orchester grollt zwar, aber die Bilder wollen „Into the Woods“ eher als Fantasy-Film mit bekannten Märchenfiguren und noch bekannteren Darstellern erscheinen lassen.
Beileibe also nicht als Adaption eines feurigen Bühnenwerks voll von überraschenden Erkenntnissen, in dem gesprochene Dialoge ausgesprochen rar sind und die Akteure sich zumeist in Songs äußern. Es ist, wieder einmal, die Angst vor dem Genre Musical, das hierzulande nur im Theater zu funktionieren scheint, auf der Leinwand aber, selbst bei Erfolgsstücken wie „Les Misérables“, kaum größere Beachtung findet.
Virtuos gestaltete Eröffnungssequenz
In diesem Fall wäre das besonders schade, denn das Stück von Stephen Sondheim (Musik und Songtexte) und James Lapine führt eine Reihe bekannter Märchenmotive zunächst bis zum üblichen Happy End, um im zweiten Teil das vermeintliche Glück akribisch zu zerlegen. Der Wald verwandelt sich dann von der klassischen Märchenkulisse in einen geradezu metaphorischen Ort, in dem bislang unterdrückte Lüste und Sehnsüchte sich Bahn brechen.
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Da entdeckt auf Irrwegen im dunklen Tann ein schmucker, frisch verheirateter Märchenprinz dann plötzlich seine Berufung zum unsteten Frauen-Vernascher („Ich wurde erzogen, um charmant zu sein, nicht ehrlich“) und eine treue Bäckersgattin verspürt auf einmal das Verlangen nach sexueller Abwechslung.
Regisseur Rob Marshall hat bei Musical-Verfilmungen schon Großartiges („Chicago“), aber auch eher Bedauernswertes („Nine“) vollbracht. Doch schon allein der Auftakt von „Into the Woods“ ist eine derart virtuos gestaltete Eröffnungssequenz, dass Zweifel hier eigentlich unangebracht sind. In gerade mal zwölf Minuten voll von Gesang und knappen Dialogen stellen sich mit dem Motiv „Ich wünsche“ sämtliche wesentlichen Figuren vor und klären die zwingenden Gründe, warum alle sich schließlich auf den Weg in den Wald machen. Bei einer derart fulminanten Choreographie der Personen verschmerzt man leicht, dass Tanz in diesem Musical nur am Rande vorkommt.
Aschenputtel und Rotkäppchen
Die Versatzstücke aus diversen Märchen formen sich sehr schnell als Teile einer umfassenden neuen Handlung, in deren Zentrum eine Hexe (Meryl Streep) steht, die ein Bäckerspaar (Emily Blunt, James Corden) zur Unfruchtbarkeit verdammt hat, nun aber bereit ist, diesen Fluch unter bestimmten Bedingungen aufzuheben. Sie sollen Dinge beschaffen, mit denen Aschenputtel (Anna Kendrick), Rotkäppchen (Lilla Crawford), Rapunzel (MacKenzie Mauzy) und auch der Hans aus „Hans und die Bohnenranke“ im Wald unterwegs sind.
Und natürlich darf man dabei auch nicht den bösen Wolf außer Acht lassen, den Johnny Depp als schmierig-galanter Pädophiler gibt, gekleidet in ein buntes Gewand mit Hut, das aussieht, als habe man es direkt aus einem frühen Cartoon des Zeichentrick-Genies Tex Avery entführt. Ron Marshalls Prinzip ist es, jeden seiner Darsteller auch selbst singen zu lassen, um nur ja nicht die Dramatik des Geschehens durch eingespielte Synchron-Sänger zu zerstören.
Bei Meryl Streep beispielsweise hört man lange Zeit nur Sprechgesang, bis sie sich plötzlich wie befreit auch in Höhen schwingt, die sie zuletzt bei „Mamma Mia“ nie zu erklimmen gewagt hätte. Bei Emily Blunts perfekten Duetten mit ihrem Bäcker-Gatten James Corden denkt man schon an den Broadway. Und der als selbstverliebter Prinz überzeugende Chris Pine macht aus seinem furchtlos geschmetterten „Agony“ gemeinsam mit Billy Magnussen (Prinz Nr. 2) einen Popsong mit Ohrwurmqualität.
Immerhin hat der in seiner Werbung so zaghafte Verleih sich wenigstens dazu entschlossen, die Lieder im Original zu belassen und mit Untertiteln zu versehen. Eine weise Entscheidung.
Wertung: vier von fünf Sternen