Essen. Glückwunsch, RTL! Dem Privatsender gelang ein Kunststück, für das er mit dem Nobelpreis für Marketing ausgezeichnet werden müsste. Drei Wochen lang stellten sich Verbände, ja Ministerinnen in den Dienst des Senders – kostenlos. Am Mittwochabend lief "Erwachsen auf Probe". Wie schlimm war's?
Je stärker sie „Erwachsen auf Probe” im Vorfeld geißelten, desto mehr steigerten sie das Interesse an der umstrittenen Doku-Soap. Zum finalen Tusch, kurz vor der Ausstrahlung, blies das Netzwerk Familien e. V. Allein, die Familien-Funktionäre scheiterten mit ihrem Ansinnen, die Sendung vor Gericht doch noch zu kippen – vor allem deswegen, weil Rechte der Antragsteller durch die Sendung nicht verletzt werden. Sie waren nämlich schlicht nicht am Dreh beteiligt.
60 Verbände, zwei Ministerinnen
Insgesamt hatten mehr als 60 Verbände nebst zwei Ministerinnen Front gegen die Sendung gemacht. Obwohl kaum jemand vorab Szenen der vorproduzierten TV-Serie gesehen hatte, prasselte Kritik auf den Sender ein wie Hagel bei einem Sommergewitter. Von Kindesmissbrauch war die Rede, ja Prostitution. Der Untergang des Abendlandes, so schien es, war nahe.
Dabei hatte RTL nach eigenem Bekunden nur Gutes im Sinn. Schließlich stieg Senderchefin Schäferkordt in die Bütt: „Die Sendung ,Erwachsen auf Probe' ist eine einzigartige Möglichkeit für die beteiligten Jugendlichen mit Kinderwunsch, Familienkompetenz zu erlernen und praktische Verantwortung für Kinder, den Partner und sich selbst zu übernehmen.”
Jugendschützer hörten die Botschaft wohl, allein ihnen fehlte der Glaube. Als die Diskussion krawallige Züge annahm, bat RTL zum runden Tisch. Dort bekamen Funktionäre und Journalisten einen gerade mal 16-minütigen Zusammenschnitt des Formates zu sehen. Schließlich wollten die Programmmacher um RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger die Spannung steigern, nicht dämpfen.
Spannung? Welche Spannung?
Doch bereits nach wenigen Sendeminuten stellte sich die Frage: Spannung? Welche Spannung? Sicher, was Mutter Raphaela über ihre Motivation zu sagen hatte, ihr neun Monate altes Töchterchen Theresa Viktoria in die Hände unbedarfter Teenager zu geben, zeugte von ergreifender Schlichtheit: „Ich mache das, damit mein Kind einen Einblick ins Erwachsenenleben kriegt.” Für die Jugendlichen hoffte die 29-Jährige, „dass sie sich das mit den Kindern noch mal überlegen”. Ah ja.
Tatsächlich war die „soziale Reifeprüfung” (RTL-Eigenlob) Fernsehen zum Abgewöhnen. Ob Vorstellung der vier teils abgedrehten Teenie-Pärchen oder Einkauf im Supermarkt, Mädchen mit Schwangerschaftsrucksack oder Übungsrunden mit Baby-Puppen – die Auftaktfolge zog sich zäh wie Lebertran, nur nicht so gesund und nahrhaft.
Das lag auch daran, dass RTL mit Katja Kessler eine Expertin gewann, gegen deren Schlicht-Weisheiten die Ratschläge von „Super Nanny” Katia Saalfrank nobelpreiswürdig wirken. So wurden denn die Jugendlichen mehr vorgeführt als vorbereitet.
Ach ja, und eines noch. Die Eltern und Mütter waren die ganze Zeit bei ihren Kindern, gaben den Teenies Tipps. Außerdem wurden alle Beteiligten Tag und Nacht von Experten überwacht.
Was lehrt uns das Drama um die Doku? Das Mediengewitter entpuppte sich als Theater-Donner, die vermeintliche Tragödie als müdes Sommertheater. Der Kinder-Kram hinterließ eine weitere Erkenntnis: Nie war der Aus-Schalter so wertvoll wie heute.
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