Essen. Schon im Vorfeld ging ein Aufschrei durchs Land: Babys verleihen für eine Fernsehsendung? Doch genau darum geht es in der neuen Doku-Serie "Erwachsen auf Probe" bei RTL. Sonja Mersch ist Mutter einer kleinen Tochter und hat die Sendung für DerWesten geguckt.

Als Mutter bin ich vorsichtshalber mal auf das Schlimmste gefasst. "Erwachsen auf Probe" - der Titel klingt zwar harmlos, aber wie die ganze Nation inzwischen weiß, sollen hier echte Babys an Teenager verliehen werden. Pädagogischer Sinn? Eher quotenheischender Unsinn, soweit mein Vorurteil. Und es geht gleich so los wie erwartet: dramatische Teasermusik, reißerische Slogans aus dem Off: "Die wichtigste Reifeprüfung ihres jungen Lebens - werden sie an ihren Aufgaben wachsen - oder zerbrechen?" Bei solchen Sätzen möchte ich schon das erste Mal ausschalten, dabei läuft die Sendung gerade mal zwei Minuten. Nein danke, ich möchte keine Teenager im deutschen Fernsehen zerbrechen sehen.

Aber es fängt ja alles ganz harmlos an: Vier Pärchen beziehen ihre Einfamilienhäuser, der Einfachheit halber verteilt man sie auf rotes Haus, gelbes Haus, grünes Haus und blaues Haus. So muss man sich die vielen Namen nicht merken. Beim Casting haben die Produzenten ganze Arbeit geleistet: Da ist der vorbestrafte Mario, dessen Freundin schon mal ein Kind verloren hat, der angehende Erzieher Basti mit Tamara, die unbedingt ein Kind will, außerdem der 17-jährige Elvir, der seiner Gelfrisur mehr liebevolle Zuwendung schenkt als seiner Freundin. Fast alle rauchen.

Einfach mal in den Arm nehmen

Die erste Prüfung heißt: Nestbauen. Einige scheitern beim Zusammenschrauben eines Ikea-Stuhls. Ansonsten sehen die Häuser aus wie im Katalog, eine schöne heile Welt. Mal im Ernst: So sieht im Leben keine erste gemeinsame Wohnung aus. Immerhin, sie sollen arbeiten gehen. Als die 17-jährige Nadine bitterlich weinend in Großaufnahme gezeigt wird, weil ihr Freund den Job gekündigt hat, möchte ich zum zweiten Mal weg schalten: Bitte macht die Kamera aus!

Noch bevor überhaupt ein Baby im Spiel ist, frage ich mich: Welche Eltern lassen es zu, dass ihre Söhne und Töchter so vorgeführt werden? Könnte jemand diese jungen Mädchen, die sich verzweifelt nach einem Kind sehnen, bitte einfach mal in den Arm nehmen und ihnen wirklich zuhören?

Babybauchattrappen und programmierte Puppen sind ja erprobte Mittel, um Jugendlichen die anstrengenden Seiten von Schwangerschaft und Kinderpflege näher zu bringen. Damit sich alles noch ein bisschen echter anfühlt, müssen die Pärchen für ihre "Reifeprüfung" sogar zu einem echten Geburtsvorbereitungskurs - um zu erfahren, dass Kinderkriegen richtig wehtut. So ernst wie Angji ("Du musst die Puppe versorgen wie ein richtiges Baby, sonst schreit sie dir das ganze Haus voll.") oder Basti, der mit dem programmierten Baby nachts schuckelnd durchs Haus läuft, nehmen andere ihre Aufgabe nicht. Eine Puppe erstickt im Elternbett. Zur Strafe gibts für Elvir und Nadine kein echtes Baby. Vorerst jedenfalls nicht.

Die Pärchen scheitern grandios

Die anderen haben ihren Babyführerschein gemacht und dürfen sich jetzt am lebenden Objekt versuchen. Sie haben Glück: Die echten Mütter geben ihnen eine schriftliche "Gebrauchsanweisung" (O-Ton einer Mutter!) für ihre Kinder mit und bleiben in der Nähe, falls doch mal was ist. Und dann geht's los: wickeln, baden, Fläschchen machen. Wie zu erwarten war, scheitern die Pärchen grandios, auch wenn Katja Kessler als Babyexpertin Tipps in Sachen Fliegergriff und Pucken geben darf. Die Babys schreien und schreien und schreien. Das sollen sie ja auch, die Jugendlichen müssen so hilflos wie möglich aussehen. Dabei stellen sich einige von ihnen nach dem ersten Schock gar nicht mal so schlecht an.

Aber wie soll das auch funktionieren? Eltern haben nicht einfach "ein Kind", sie haben ihr eigenes Kind, das sie seit der ersten Sekunde seines Lebens kennen - und das ist ein riesiger Unterschied. Wo soll der pädagogische Nutzen darin bestehen, nachts für ein fremdes Kind aufzustehen? Das würde jeden aggressiv machen. RTL behauptet: "Erwachsen auf Probe ist kein Spiel. Es ist das wahre Leben!" Aber wie realistisch ist es, "eigenverantwortlich" ein Baby zu wickeln, während ein Team von Kameraleuten und Betreuern drum herum wuseln und die echte Mutter nur ein paar Schritte entfernt mit Argusaugen über jeden Handgriff wacht?

Warum eigentlich?

Ab und zu werden sie von der Kamera gezeigt, diese Eltern, die im Nachbarhaus vor dem Überwachungsbildschirm sitzen und gequält gucken, als hätte man sie zum Mitmachen gezwungen. Die Mundwinkel von Theresas Mutter zucken, als sie ihr neun Monate altes Töchterchen in den Armen fremder Menschen verzweifelt weinen sieht. Und: Ja, ich kann mir denken, wie sie sich fühlt. Mies. Die Mama von Lasse, zehn Monate, sagt, gerne mache sie das hier nicht. Ja, aber warum denn dann eigentlich, fragt man sich.

Fast alle Eltern geben an, sie wollten Jugendlichen zeigen, wie anstrengend das Leben mit Kindern sei, "damit sie es sich noch einmal überlegen". Muss man diesen Weltverbesserungsanspruch haben und vor allem, muss man ihn in einem solchen Format ausleben? Oder darf einem das eigene Kind für derart fragwürdige Experimente auch einfach zu schade sein?

Fazit: Nachhilfe im Erwachsensein brauchen in dieser Sendung nicht die zu recht überforderten Teenies, sondern wohl eher die Programmverantwortlichen bei RTL.

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