Hamburg. “Der Kiez ist unser Revier“: Wenn TV-Polizist Dirk Matthies alias Jan Fedder in der ältesten ARD-Vorabendserie “Großstadtrevier“ ermittelt, dann menschelt es. Das Leben der echten Hamburger Streifenbeamten sieht oft anders aus. Die ARD-Kultserie im Alltagstest.

Der Mann - krauses Haar, verkrumpelter Anzug - eilt zu den beiden Polizisten auf der Hamburger Reeperbahn. Er hat offensichtlich Alkohol intus und einen blauen Farbklecks an der rechten Schläfe. Die Worte sprudeln nur so aus ihm hervor: Hier, in einem Wartehäuschen, hat er mit Bekannten getrunken, und plötzlich kam ein junger Typ vorbei und hat ihn angepöbelt. "Ich hau dir auf die Glocke, hat der gesagt!" Der Typ ist längst weg, passiert ist zum Glück nichts, die Beamten können wenig ausrichten. Aber Polizeimeister Stefan Hinz schafft es, den aufgebrachten Mann zum Lachen zu bringen - weil er über den Farbtupfer scherzt und ihm gleich einen neuen Spitznamen verpasst: "Blue".

Eine Szene, die direkt aus der Kultserie "Großstadtrevier" stammen könnte. In der ältesten ARD-Vorabendserie kümmern sich die TV-Beamten des fiktiven 14. Polizeikommissariats schließlich um die großen und kleinen Nöte der Leute - es menschelt zwischen all den Uniformen. Und auch im echten Leben, an diesem Mittwochvormittag auf dem Kiez, will Hinz zeigen: "Man steht nicht nur in Uniform da, sondern lässt durchscheinen, dass man noch Mensch ist."

Damit hat es sich aber auch fast schon mit den Gemeinsamkeiten zwischen dem Polizeialltag im Fernsehen und in der Realität. Es fängt bereits damit an, dass die Mitarbeiter des echten 14. Polizeikommissariats (PK 14) gar nicht für die Reeperbahn zuständig sind. Hinz und sein Partner Karsten Kirchhof (29) wurden nur gerufen, um die Kollegen von der berühmten Davidwache zu unterstützen.

Schichtdienst gibt es im fiktiven Polizeialltag nicht

Zum Gebiet des PK 14 gehören die Stadtteile Altstadt, Neustadt und Hafencity, also die Innenstadt und ein Teil des Hafens. Im "Großstadtrevier" dagegen, lacht Hinz, ermitteln Dirk Matthies alias Jan Fedder, seine Streifenpartner und die Zivilfahnder "Harry" Möller (Maria Ketikidou) und Mads Thomsen (Mads Hjulmand) in ganz Hamburg - "von Blankenese bis Bergedorf". Völlig utopisch. Wie die Fernsehbilder aber kommen dem 27-Jährigen die Panoramen vor, an denen er auch heute wieder im Streifenwagen vorbeirauscht. Rathaus, Michel und Landungsbrücken, Elbe und Alster - alles sein Revier. "Das ist schon so das wahre Hamburg", schwärmt der gebürtige Hamburger.

Bei den wahren Kollegen aber, da geht es weiter mit den Unterschieden. Gleich beim Einsteigen in den Streifenwagen räumt Kirchhof mit dem TV-Klischee des festen Partners auf: "Das ist ein amerikanisches Modell. Bei uns wird das jedes Mal neu gemischt." Zu groß sei die Korruptionsgefahr, wenn jemand über Jahre nur mit einem bestimmten Kollegen fährt. Auch der Streifenwagen selbst heißt nicht immer gleich: Während Matthies stets im 14/2 sitzt, werden Hinz und Kirchhof unter wechselnden Nummern angefunkt. Heute ist es die 14/6. Im "Großstadtrevier" ist eben alles viel verlässlicher.

Auch die personelle Ausstattung, heißt es einmütig im PK 14. "Die im Fernsehen haben immer das passende Personal", sagt ein Kollege, der namentlich nicht genannt werden will. "Das gibt's an keiner Hamburger Wache mehr." Die Beamten schieben zum Teil Hunderte Überstunden vor sich her, aus Personalmangel bekommen sie manchmal wochenlang nicht frei. Am PK 14 müssen schließlich neben Früh- und Spätdiensten auch die Nachtschichten besetzt werden - dann liegen die Fernsehkollegen vom "Großstadtrevier" längst im Bett. Schichtdienst gibt es im fiktiven Polizeialltag nicht.

"Großstadtrevier" ist Aushängeschild für Hamburg

Allen Differenzen zum Trotz: Die Polizei der Hansestadt hat die TV-Produktion 2011 mit dem "Polizeistern" ausgezeichnet, weil sie ein "Aushängeschild für Hamburg und seine Polizei" sei. Der seit 1986 laufende Serienklassiker - zur Zeit wird die 27. Staffel gedreht - zeigt vor allem kleine Kriminalität, etwa eine Überfallserie auf Bars oder Streit unter den Beschickern des Fischmarkts.

Dabei haben Matthies und Co. immer genug Zeit, um an ihren Fällen dranzubleiben - und sie schließlich aufzuklären. "Da machen die auch gleich die Arbeit der Kriminalpolizei", kritisiert Kirchhof, kurz bevor er wegen eines Taschendiebstahls in einen Klamottenladen auf der Mönckebergstraße gerufen wird. Die beiden Polizisten bringen die Verdächtige zur Wache, übergeben sie den Kollegen - und sind keine halbe Stunde später wieder auf Streife. Der Alltag, sagt Kirchhof, sei in der Regel "eine Stop-and-Go-Geschichte".

"Das ist was fürs Herz"

Und so holen sie Tag für Tag Ladendiebe aus den Innenstadtgeschäften, nehmen Taschendiebe fest und Verkehrsunfälle auf oder kümmern sich um Randalierer. Daneben gibt es aber auch Einsätze, die lange nachhallen. Anders als die TV-Polizisten müssen sie immer damit rechnen, tief in menschliche Abgründe zu schauen. Kirchhof erzählt von Socken, die ein Obdachloser so lange getragen hatte, dass sie mit den Füßen verwachsen waren. Von Gerüchen, die einen würgen lassen.

"Man sieht den ganzen Mist hinter der Fassade", sagt Hinz. "Wenn man so etwas im Fernsehen zeigen würde, würden viele angeekelt abschalten." Das "Großstadtrevier" dagegen, meint der Beamte, "das ist was fürs Herz": "Da ist die Welt am Ende immer in Ordnung." Und da klingt doch ein bisschen Wehmut durch. (dpa)