Essen. Das Idyll der TV-Serie Schwarzwaldklinik hat mit der Realität in Deutschland leider nichts zu tun. Zu viele Operationen, falsche Eingriffe: Günther Jauch diskutierte in seiner ARD-Talkrunde über die Missstände im deutschen Gesundheitssystem und die Profitgier zu Lasten des Patienten.

Der Talk begann mit dem kitschigen Vorspann der TV-Serie „Schwarzwaldklinik“. Günther Jauch kommentierte dies: „So schön kann Krankenhaus sein - zumindest im Fernsehen.“ Der Fokus seiner Talkrunde in der ARD lag aber diesen Abend nicht auf dem öffentlich-rechtlichen Ärzte-Idyll, sondern auf den Schattenseiten und Mängeln des deutschen Gesundheitssystems.

Zu viele Eingriffe, falsche Eingriffe, das den Krankenhäusern und Ärzten Ausgeliefert-sein und der Patient als ökonomische Einheit in dem Milliardengeschäft der Gesundheitsbranche kamen zur Sprache – einen großen Erkenntniszuwachs konnte die Sendung jedoch nicht übermitteln. Unter dem Namen „Patientenfalle Krankenhaus – unnötige OPs für satte Gewinne?“ sollte ein kritischer Blick auf die Vorgänge in deutschen Krankenhäusern geworfen werden. Dies gelang nur bedingt.

Sonia Seymour Mikich berichtet bei Jauch von schmerzhaften Erfahrungen

Eingeleitet wurde die Sendung von Günther Jauch mit den Erfahrungen von der Journalistin Sonia Seymour Mikich, die ihre persönliche, schmerzhafte Odyssee durch deutsche Krankenhäuser schildert. Vormals bei der Sendung Monitor jahrelang selber mit der Aufdeckung von Medizinskandalen beschäftigt, erzählte sie von ihrem persönlichen Horror in deutschen Krankenhäusern: „Es fing mit ganz banalen Bauchschmerzen an“, erzählte Mikich. Es folgten mehrere Operationen. Sie durchlitt Todesängste und erfuhr erst im Nachhinein, dass Alternativen zu den erfolgten Operationen bestanden hätten.

Damals stand sogar auch die Diagnose Darmkrebs im Raum. Die Devise habe gelautet, einfach zur Vorsicht zu operieren, davon ist Mikich heute überzeugt. Sie schildert eindringlich aber unaufgeregt ihren Marathon durch die Krankenhäuser: „Ich fühlte mich verwaltet.“

Sie bemängelte hierbei tiefgreifende strukturelle Probleme, wie die ökonomische Erfordernis, dass möglichst viel und schnell operiert werden müsse, um Gelder einzunehmen, aber auch um neue technische Geräte zu amortisieren. Viele Menschen, auch Ärzte, meldeten sich bei ihr und stimmten ihr zu, dass einiges in deutschen Krankenhäusern im Argen sei. Viele berichteten ihr vom Erleben des Kontrollverlustes und der Ohnmacht als Patient.

Wenig Gegenpositionen bei Jauch-Talk

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Die Schilderungen der Journalistin Sonia Seymour Mikich werten die Sendung auf, aber es fehlten Glanzmomente oder wirklich neue Erkenntnisse; auch weil die Runde wenig konkrete Gegenpositionen aufwies. Rhetorische und argumentative Duelle waren Mangelware. Mit Jens Spahn, dem gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, hatte Günther Jauch einen Politiker in seiner Runde – der einzige der Sendung. Spahn verwies darauf, dass Deutschland nach wie vor eines der besten Gesundheitssyteme der Welt habe und stellte fest: „Nicht jede Mehroperation ist falsch.“

Interessantere, aber nur kurze Einblicke in den Alltag bundesdeutscher Krankenhäuser bot der Gast Hendrik Schneider. Der freie Anästhesist kritisierte sowohl das Überstundenpensum von Ärzten und Pflegekräften, als auch die zunehmende Ausrichtung auf das Geldmachen mit dem Patienten. Auf die Frage von Jauch ob das derzeitige System unsinnige Behandlungen fördere, antwortete der Arzt: „Das Patientenwohl hat immer weniger Relevanz.“

Häufig steht der Profit im Vordergrund - nicht der Patient 

Arbeit für den Profit statt für den Patienten: Auch Andrea Grebe, Geschäftsführerin der Vivantes-Kliniken, erwähnte den Zeitdruck in den Krankenhäusern. Konkret kam die Fallpauschale zur Sprache, die Krankenhäusern zu kürzeren Liegezeiten der Patienten antreibe. Je kürzer die Verweildauer, je mehr Eingriffe also durchgeführt werden, je höher die Einnahmen. Doch die Geschäftsführerin sagt: „Die schwarze Null ist das Ziel.“ Sie betont zudem, dass die Liegezeiten in vielen anderen Ländern noch weit unter denen von Deutschland seien.

Jürgen Graalmann, Vorstandsvorsitzender der AOK, wünschte sich in der Runde bei Jauch derweil eine qualitätsbezogenere Bezahlung von Krankenhäusern. Er würde sich wünschen, dass qualitativ schlechte Krankenhäuser künftig nicht bezahlt werden. Auch kritisiert er beispielhaft, dass alleine 50 Kilometer um Essen herum 100 Kliniken stünden, die Knie-Operationen anbieten. Er sprach sich bei Jauch für mehr Fachkliniken aus: „Spezialisierung hilft dem Patienten!“

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Deutschland als Operationsweltmeister: Ein Einspieler zeigte, dass die Zahl der Operationen in Deutschland - verglichen mit anderen Ländern - hoch ist. Die Überalterung der Gesellschaft als Ursache hoher Operationszahlen kam als naheliegender Gedanke in der Runde kaum auf. Dass andere Länder ohne funktionierendes, mangelhaftes oder in der Breite zugängliches Gesundheitssystem natürlich nicht solch hohe Eingriffszahlen wie in Deutschland ermöglichen würden, wurde nicht hinterfragt. Hier hätte auch genauer geschaut werden können, wie es bei den europäischen Nachbarn aussieht.

Arzt bestätigt Druck, möglichst häufig zu operieren

Günther Jauch blieb in dieser unaufgeregten Talk-Runde bemerkenswert stark im Hintergrund. Auch die Erzählung seiner Erfahrung, als er drei verschiedene Ratschläge von drei verschiedenen Ärzten zu seinem gebrochenen Fuß bekam, änderte daran nichts. Ein packender Talk geht anders.

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Interessanter wurde es, als er einen Mann aus der Praxis, Hendrik Schneider, fragte, ob Druck für Ärzte bestünde, möglichst häufig zu operieren. Dieser bejahte die Frage von Günther Jauch. Doch insgesamt lautete die Devise bei der Gesprächsrunde eher, dass Themen lediglich angeschnitten wurden: vom Vertrauensverhältnis zum Arzt, den Ärzte-Boni, den Überstunden bis hin zur Fallpauschale.

Konkret zu schauen, wo etwa andere Länder im Gesundheitssytem vorbildlich sein könnten, wurde außen vor gelassen. Günther Jauch moderierte insgesamt gewohnt souverän, doch die Würze und die Lebendigkeit fehlten bei der eher faden Sendung. Das Zusammenspiel von Gesundheit und Gewinn und die Frage nach Ökonomisierung der Krankenhäuser ist freilich nicht irrelevant – speziell der Ansatz von Sonia Seymour Mikich, wonach die Regeln der Marktwirtschaft nicht alleine bei der Gesundheit greifen sollten, waren interessant. Große Momente waren in der Sendung aber nicht zu vernehmen. Hierzu fehlten der Konflikt und die Brisanz.