Berlin. . Das am Donnerstag verabschiedete Patientenrechtegesetz wird von Patientenschützern und der Opposition scharf kritisiert. “Das ist eher ein Ärzteschutzgesetz“, sagte Eugen Brysch von der Deutschen Hospiz Stiftung. Gesundheitsminister Bahr sagte, er wolle mit der Neuregelung “Defensivmedizin“ verhindern.

Patientenschützer und die Opposition im Bundestag halten das am Donnerstag verabschiedete Patientenrechtegesetz für weitgehend wirkungslos. „Das ist eher ein Ärzteschutzgesetz“, sagte Eugen Brysch von der Deutschen Hospiz Stiftung zur WAZ-Gruppe. Es werde in der Praxis nicht weiterhelfen. Von einem „Placebo“ sprach SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann, eine „Enttäuschung“ sehen die Grünen.

Mit dem Gesetz, das die bisher zersplitterten Patientenrechte erstmals bündelt, will die Koalition die Position der Betroffenen gegenüber Medizinern und Krankenkassen stärken. Letztere müssen Anträge künftig binnen drei Wochen bearbeiten, andernfalls gelten diese als bewilligt. Die Patienten bekommen das Recht auf Akteneinsicht. Der Arzt hat die Pflicht zur Aufklärung, etwa über die Risiken bei der Behandlung.

Fehlende Härtefallfonds als Hauptkritikpunkt

Hauptkritikpunkt ist der fehlende Härtefallfonds, der die Opfer von Ärztepfusch entschädigen könnte. Die Opposition im Bundestag und mehrere Bundesländer hatten dies vehement gefordert. Ohne den Fonds werde es immer wieder „soziale Härtefälle“ geben, wenn das Verschulden oder die Schadensursache nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könne, sagte NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) dieser Zeitung. Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hatte unlängst angekündigt, dass sie im Bundesrat noch einmal einen Vorstoß für den Fonds unternehmen will.

Der Patientenbeauftragte der Regierung, Wolfgang Zöller (CSU), hält ebenfalls weiter an dem Fonds fest. Allerdings müsse er wohl getrennt vom Patientenrechtegesetz geschaffen werden, sagte Zöller und regte eine Stiftung an, die in Härtefällen aktiv werde.

Bahr befürchtete "Defensivmedizin"

Für Unmut sorgt weiter die Umkehr der Beweislast, weil sie nur bei „groben Behandlungsfehlern“ greift. Hier muss der Patient künftig nicht mehr belegen, dass er ein Opfer von Ärztepfusch wurde. Für „einfache“ Behandlungsfehler gilt das nicht. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) fürchtet, dass die Ärzte dann nur noch „Defensivmedizin“ betreiben würden, um Risiken zu vermeiden. Nun grenze es weiter an eine „Sisyphosarbeit“, Ärzten Fehlern nachzuweisen, so Brysch. Die SPD forderte zudem strengere Regeln beim Verkauf der umstrittenen Individuellen Gesundheitsleistungen. Ein entsprechender Antrag dazu fand aber keine Mehrheit im Bundestag.

Wie Ärztepfusch das Leben von Patienten zerstört - Fünf Fälle 

Die neue Hüfte. Die Schiene, die den Oberarmbruch richten soll. Die Beatmung eines Kindes, das zwar zu früh, aber durchaus gesund zur Welt kommt: Das wird schon, mag man sagen. Ist ja alles Routine. Und doch kann ärztliches Versagen dazu führen, dass Menschen nach Routineeingriffen zu Pflegefällen werden. Dann beginnt der Streit um Schuld und Unschuld, es folgen jahrelange Prozesse. Drei Fälle, die das Leben der Menschen zerstörten:

Fall 1

Ein 50-jähriger Mann lässt sich eine Hüftprothese einsetzen. Nach acht Monaten treten Probleme auf, der Patient geht erneut ins Krankenhaus, um die Ursache abklären zu lassen. Vergeblich: Die Ärzte schicken den Mann wieder nach Hause, doch seine Beschwerden werden schlimmer: Sein Herz rast, andere körperliche Beschwerden kommen hinzu. Besonders dramatisch: Der Patient wird blind und taub. Immer wieder untersuchen ihn Ärzte, bis einer eine Vergiftung mit Kobalt und Chrom feststellt – Stoffe, die in einer Hüftprothese vorhanden sind. Offenbar setzt der Metallabrieb der künstlichen Hüfte die Stoffe frei. Die Kobalt- und Chrom-Belastung ist um ein vielfaches erhöht. Der Hör- und Sehverlust ist nicht mehr reparabel.

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Inzwischen versuchen Gerichte zu klären, wie es zum Abrieb gekommen ist. Hat der Arzt die Prothese falsch eingesetzt? Oder war die Proteste von bereits fehlerhaft, also der Hersteller schuld?

Fälle wie dieser setzen die Gutachter- Maschinerie in Gang: Jeder Beteiligte hat Experten, die die Analyse des Gegners widerlegen. Patienten sind dem ohnmächtig ausgeliefert.

Fall 2

So wie die 72jährige, die sich in ihrer Wohnung den Oberarm bricht. Ihr wird in einer Operation eine Schiene eingelegt, die den Bruch begradigen soll. Nach dem Krankenhausaufenthalt behandelt sie ein Orthopäde weiter. Weil die Wunde nicht heilt, schickt er seine Patientin nach zwei Wochen erneut in die Klinik. Die Patientin bekommt Antibiotika, denn die Wunde nässt inzwischen. Schließlich platzt sie auf, Eiter fließt heraus. Tagelang wird die Wunde gespült und neu verbunden, dabei ist auf den Röntgenbildern erkennbar, dass eine Schraube an der Schiene im Oberarm falsch sitzt. Trotzdem wird die Patientin entlassen.

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Einen Monat später nimmt sie ein anderes Krankenhaus auf, wo die Schiene entfernt und das entzündete Gewebe versorgt wird. Die Diagnose: Die Patientin leidet an einer Blutvergiftung. Laut Gutachten wurde sie viel zu spät behandelt, dadurch kam es zu einem Multi-Organversagen. Die vorher gesunde Patientin ist heute in der Pflegestufe II. Damit ist sie schwer pflegebedürftig und braucht mehrmals täglich Hilfe vom Pflegedienst.

Fall 3

28 Wochen lang verläuft die Schwangerschaft ohne größere Probleme, dann treten bei der Mutter Blutungen auf. Sie wird ins Krankenhaus eingeliefert. In der Nacht löst sich die Plazenta, das bleibt jedoch unbemerkt. Am nächsten Morgen wird das Kind per Notkaiserschnitt „geholt“. Es atmet nicht und wird für tot gehalten. Völlig übersehen wird, dass die Lungenreifung noch nicht abgeschlossen ist, dabei gehört dies zu den häufigsten Symptomen bei Frühgeborenen. Als nach 20 Minuten der Kinderarzt eintrifft und das Kind fachgerecht versorgt, ist es zu spät. Der lange Sauerstoffmangel führt zu einer spastischen Zerebralparese. Das Kind wird lebenslang schwerstbehindert und auf Pflege angewiesen sein.

Und die kostet: Der Schaden geht in die Millionen, mehrere Gerichte beschäftigen sich damit.

Natürlich sind diese Fälle, dokumentiert von der Techniker Krankenkasse (TK), besonders krass. Doch obwohl sie so eindeutig sind, gehen sie meist durch mehrere Instanzen. „Bis zu einem Urteil vergehen oft Jahre“, sagt TK-Sprecher Christian Elspas. Trotz dieser Hürden sei inzwischen die Bereitschaft der Patienten höher, im Zweifelsfall gegen den Arzt vorzugehen. Durch das Internet könnten sich Patienten heute leichter informieren, müssten nicht mehr in Bilbiotheken Literatur wälzen. „Außerdem haben sich inzwischen Anwaltskanzleien auf Patientenrechte spezialisiert“, sagt Elspas.

Eine Fachanwältin vertritt auch einen 72jährigen Mann aus Recklinghausen, der nicht nur Krebs, sondern auch massiven Ärztepfusch überstanden hat: Bei der lebensrettenden Darmoperation blieben zwei 30 Zentimeter lange Schläuche in seinem Bauch. Die konnten glücklich entfernt werden. Nun wartet er auf 70 000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz. Und auf eine Entschuldigung der Klinik.