Düsseldorf. Die ZDF-Show „Ich kann Kanzler“ suchte nach Politiktalenten, nach jungen Menschen und frischen Ideen. Heraus kamen Standardprogramme, Kandidaten im rhetorischen Autopilot und die Erkenntnis, dass der Nachwuchs auch nicht authentischer wirkt als die alte Garde.
Wer hätte gedacht, dass Kuscheln so anstrengend ist? Dass Totalkonsens eine solche Leere hinterlassen kann? Gemeinschaft, Chancengleichheit, Steuersenkung, Bildung – die Forderungen der Kandidaten bei „Ich kann Kanzler“ boten weniger Reibungsfläche als eine Teflonpfanne. Nach zwei Stunden wünschte man sich förmlich, irgendjemand würde für neue Atommeiler, uneingeschränkten Walfang und Zigarettenverkauf auf dem Schulhof eintreten. Für irgendein Projekt jedenfalls, das nicht von 99,9 Prozent aller Menschen abgenickt wird.
„Ich kann Kanzler“ ist vermutlich angetreten, um dem Politikfilz in Berlin etwas entgegenzusetzen – junge Leute mit Idealen, frischen Programmen und Glaubwürdigkeit. Echte, vom politischen Tagesgeschäft noch nicht abgeriebene, Menschen. Wenn das die Idee hinter dieser Sendung war, dann ist sie nicht aufgegangen. Gar nicht.
Phrasenschlaf der Kandidaten
Die Phrasen, die man von den Kandidaten zu hören bekam, waren keinen Deut authentischer oder weniger auswendig gelernt als die von Profipolitikern. „Wenn alle anpacken, können wir es schaffen,“ „Leistung muss sich wieder lohnen,“ „wir haben keine Rohstoffe, nur die Menschen“ – es gab kaum eine Formulierung, die man so noch nie gehört hätte. Eine Kandidatin verkaufte sogar ein Zitat von Victor Hugo („Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“) als eigenes Motto. Das wäre halb so schlimm, hätte sie zuvor irgendeine echte Idee genannt.
Leider lässt die Jury die meisten dieser Luftblasen frei durch den Raum schweben. Nur Günther Jauch setzt ab und zu die Nadel an, fragt nach, wo die Kandidaten das Geld für ihre Sozialprogramme hernehmen wollen. Trotzdem vergehen 100 Gelegenheiten, nachzuhaken, Widersprüche aufzudecken und die Kandidaten aus ihrem Phrasenschlaf zu wecken.
Motivation kommt von innen
Kandidat Jacob (der spätere Sieger) will beim Militär sparen, beklagt aber die schlechte Ausrüstung der Bundeswehr in Afghanistan. Dann erzählt er die Rührstory, dass sich Freunde von ihm keine zehn Euro für die Bibliothek leisten könnten. Die nahe liegende Frage, wo das Leihen von Büchern soviel Geld kostet, bleibt aus. Die türkischstämmige Bewerberin Nuray wiederum fordert mehr Hilfe für Migranten. Später sagt sie, Motivation komme von innen. Der Hamburger Kandidat Philip behauptet, es bestehe kein Zusammenhang zwischen Studiengebühren und –dauer. Als Co-Moderator Peter Frey ihn darauf hinweist, dass die Semesterzahlen an Unis mit Kostenbeteiligung zurückgegangen sind, will er plötzlich die Studiendauer von oben deckeln.
Uninformiertheit, vage Rhetorik und politische Gemeinplätze würde man vielleicht durchgehen lassen, wenn die Kandidaten sich ein bisschen in Demut üben würden. Davon ist allerdings wenig zu spüren. Besonders weit lehnt sich der gerade mal 25jährige Siggi aus dem Fenster. Kritik begegnet er gerne mit Halbsätzen wie „Nur zu Ihrer Information ...“ oder „Natürlich wissen Sie, Herr Scherf ...“ So, als könnte er auf Augenhöhe mit einem Mann diskutieren, der ihm 40 Jahre Erfahrung voraus hat.
Am Ende kommt einem diese Kombination aus Selbstverliebtheit, Standardphrasen und vagen Ideen irgendwie bekannt vor. Wenn das die Next Generation im Raumschiff Bundestag ist, könnte man die alte auch gleich beibehalten.