Essen. Wunder gibt es immer wieder. Das oft als Senioren-Sender geschmähte ZDF, ausgerechnet, überrascht mit einem pfiffigen Politik-Format für junge Leute. „Ich kann Kanzler” verbindet das alte Medium Fernsehen mit dem jungen Medium Internet. Dahinter steckt ein kluger Kopf.
Nikolaus Brender hatte zuletzt keine gute Zeit. Hessens Ministerpräsident Roland Koch stoppte seine Vertragsverlängerung, zunächst. Das von Brender verantwortete Info-Programm erreiche das junge Volk nur noch in homöopathischen Dosen, warf der CDU-Grande seinem SPD-nahen Intimfeind vor.
Da kam Brender eine frische Programm-Idee aus dem eigenen Haus gerade recht: „Ich kann Kanzler”. Dahinter verbirgt sich die Idee, Politik-Talente zu casten – Deutschland sucht den Superkanzler. Die Vorlage kam aus Kanada, und sie kam dort an.
Wenig Interesse an Politik
Und in Deutschland? Mit 2500 Kandidaten bewarben sich erstaunlich viele junge Leute für das Politiker-Casting. Der Start im Internet strafte den aktuellen „Spiegel”-Titel über die Generation der „Krisenkinder” Lügen. Das Magazin hatte eine Studie in Auftrag gegeben, die zu dem Schluss kam: Die junge Generation zeigt sich eher bereit, persönliche denn gesellschaftliche Probleme zu lösen. Dazu passt, dass ihr Interesse an Politik und, konsequent, an Mitarbeit in Parteien, Initiativen und Gewerkschaften übersichtlich ist.
„DSDS” hin, „Supertalent” her – zum Casting gehört eine Jury. Das ZDF gewann drei Hochkaräter, mit Henning Scherf als ehemaligem Stadtoberhaupt von Bremen einen Politik-Experten, dazu mit Anke Engelke und Günther Jauch zwei ausgebuffte Show-Profis. Sie sichteten Bewerber und Bewerbungen.
Steinmeier könnte was lernen
40 blieben übrig, darunter die parteilose Antje Krug, die binnen weniger Wochen beim Internet-Kontaktdienst studiVZ mehr als 4000 Anhänger um sich scharte. Auch nicht schlecht: Daniel Schuster. Ob er Kanzler kann, wissen wir nicht. Aber Internet kann er. Ob Twittern oder Bloggen – Schuster ist, seine Seite www.dein-kanzler.de zeigt es, derart gut drauf, dass der real-existierende SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier noch was von dem Jungspund lernen könnte.
Sechs Kandidaten, vier Männer, zwei Frauen, stellen sich beim heutigen Finale den Aufgaben von „heute”-Moderator Steffen Seibert. Mal sehen, wer die Jury überzeugt – und das Publikum. Volkes Stimmen entscheiden letztlich darüber, wer Germany's Next Topkanzler wird – mithin ein Stück Mediendemokratie.
Ich kann Chefredakteur
Siegerin oder Sieger erhalten das Monatsgehalt der Kanzlerin. Obendrein winkt ein Praktikum in Berlin-Mitte, im Zentrum der Macht.
Bleibt Brender.
Der 60-Jährige - gebürtiger Freiburger und Wahl-Kölner - darf sich schon jetzt als Sieger fühlen. Denn er hat zweierlei geleistet: Ich kann junges Publikum. Und: Ich kann Chefredakteur.
Ob Roland Koch das genauso sieht?
(Vorentscheidung am Donnerstag, 21 Uhr, und Finale am Freitag, 21.15 Uhr, im ZDF)
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