Essen. Günther Jauch wollte wissen, ob das “Internet dumm macht“. In seiner ARD-Talkrunde ließ er die “Digital Natives“ außen vor und diskutierte lieber mit Altsemestern über die Suchtgefahren. Da wurden Meinungen und Thesen ausgetauscht und an den Kopf gefeuert - doch der wissenschaftliche Forschungsstand blieb außen vor.
Das nennt man wohl eine rhetorische Frage: Macht das Internet dumm?, wollte der bestbezahlte Fragensteller Deutschlands in seiner Potsdamer Tonne wissen – und die Gästerunde von Günter Jauch im ARD-Talk war schon so etwas wie die Antwort: Den Digital Natives traute man eine kompetente Antwort offenbar gar nicht erst zu, der Jüngste in der Runde war Ranga Yogeshwar – Jahrgang 1959! (Was der Autor dieser Zeilen ohne Google so genau nicht schreiben könnte – und beim nächsten Mal wohl wieder googeln müsste; aber war das nicht mit den Sachen, die man früher im Brockhaus nachgeschlagen hatte, genauso?)
Immerhin waren es allesamt Eltern, die darüber redeten, ob und wann Computer Kindern schaden (denn das Internet macht ja selber gar nichts, es wird benutzt). Aber konnte denn – jenseits der Zahlen von 250.000 Online-Süchtigen zwischen 14 und 24 Jahren sowie 1,4 Millionen Gefährdeter - am Ende überhaupt mehr dabei herauskommen als eine Vollversammlung aller sattsam bekannten Argumente?
Kampfhähne trafen bei Jauch erneut auf einander
Untermalt waren sie diesmal mit dem Psychiater Manfred Spitzer in aufgedrehter Missionarsstellung und einem weiteren Professur-Inhaber wie Klaus Peter Jantke, der sich wenig Mühe gibt, den Anschein zu vermeiden, er sei so etwas wie ein wissenschaftlicher Lobbyist der Games-Industrie, für den es schon ein Skandal ist, die Namen von Computerspielen falsch oder unvollständig zu schreiben.
Auch Spitzers Verweis auf den scheinbar motivlosen Mordfall nach stundenlangem PC-Spiel mit wiederholten Niederlagen wirkte zu dick aufgetragen, als dass man derlei unbesehen glauben möchte. Vielleicht aber kramten beide derlei entlegene Argumente deshalb hervor, weil alle anderen schon abgegriffen waren, nachdem sich die beiden vor zwei Wochen erst zwei Stunden lang im Deutschlandfunk beharkt hatten. Übrigens unter dem etwas präziseren Titel „Digitale Medien für Kinder – sinnvoll oder gefährlich?“
Jedes Kind ist anders - auch beim Internet-Konsum
Kommt drauf an, lautet die erfahrungsgesättigte Antwort auch nach der Jauch-Runde, jedes Kind ist anders, und für die Wohlbehüteten ist die Gefahr geringer und der Nutzen größer, während die Abgehängten weiter zurückbleiben. Yogeshwar hat wohl auch recht damit, dass wir die Regeln für den Umgang mit PC und Netz erst entwickeln können, indem wir mit beidem umgehen. Recht auch damit, dass man – Eltern, Schule – sich vor allem um Kinder kümmern müssen: Nur Kinder, die vollkommen alleingelassen werden mit dem Computer, sind überhaupt suchtgefährdet. Wie Jauch schon von einem Zuschauer geschrieben bekam: "Spielen am Computer ist in der Regel Ersatz für Dinge, die den Menschen fehlen“.
Insofern war Petra Gersters Ausweitung der Denkzone vollkommen richtig, als sie „flächendeckend Ganztagsschulen“ forderte, das würde in der Tat die Bildschirmzeiten auf quasinatürliche Weise begrenzen, und das würde nicht nur Kindern helfen, die von der Verwahrlosung bedroht sind, sondern auch den gutbürgerlichen Familien, weil es ja doch Anstrengung, Aufmerksamkeit und Phantasie kostet, Kinder vom Bildschirm fernzuhalten. Kennt eigentlich jemand ein Kind, das zu wenig vor dem Computer gesessen hat? Spitzers Sohn mag ein Extremfall sein, aber selbst er machte nicht den Eindruck, als fehle ihm etwas.
Die Dosis macht das Gift
Aber ob Kindern die Zeit, die sie dann doch vor dem Computer verbringen, wirklich fehlt? Ist es einfach nur die Zeit, die Kinder früher mit anderen Dingen sinnlos totgeschlagen haben? Mit Fernsehen, mit Lottoscheinzahlenausschneiden, Löcherindieluftgucken oder Sandkörnerzählen... Das hat allerdings keiner vier Stunden lang getrieben, die ja schon als Untergrenze schon nicht mehr ausreichen, um Online-Sucht zu diagnostizieren in Zeiten, in denen Schüler und Geschäftsleute gleichermaßen höchstens noch nachts „off“ sind.
Kinder brauchen Grenzen, klar, aber Eltern auch. Und die Dosis macht das Gift, auch klar, wusste schon Paracelsus, wie man Theophrastus Bombastus von Hohenheim nennt, um sich den Namen besser merken zu können. Dummerweise, stellte sich auch bei Jauch heraus, muss man die für jedes Kind immer neu herausfinden, selbst der rigoros und mit gesundheitsschädlichem Hochdruck argumentierende Manfred Spitzer mochte nicht mehr festlegen als die Grenze: „Unter zwei Jahren gar nicht“, weder TV noch PC, Laptop oder Tablet.
Wissenschaftlicher Forschungsstand fehlte bei Jauch-Talk
Und dann während der Grundschulzeit Spitzer auch schon mehrfach in seinen Büchern so festgelegt. Sie berichten allerdings sehr viel eindringlicher, als das in Fernsehsendungen möglich ist, von den hirnphysiologischen Schäden durch Bildschirmkonsum bei Kindern. Man hätte im ARD-Talk von Günther Jauch gern ein bisschen mehr über den wissenschaftlichen Forschungsstand zum Thema gewusst, aber dafür ist eine Diskussionsrunde im Fernsehen wohl das falscheste Format.
Wie man im Zweier-Gespräch immerhin dazu kommt, Bildungs-Gedanken in verschiedene Richtungen zu entwickeln und die Theorie immer wieder rückzukoppeln mit den gesellschaftlichen, mit den politischen Realitäten von Kultusministerkonferenzen und falschen Einstellungen. Dass das Hirn kein Muskel ist, sondern ein Netzwerk war vom Bildungsforscher Gerald Hüther in der neuen Sendung des Philosophen Richard David Precht zu lernen, und dass dieses Vernetzen nur dann gelingt, wenn es emotional unterfüttert ist. Geht doch!