Essen. . Reality-Formate wie „Das perfekte Promi-Dinner“ oder „Die Schulermittler“ machen Vox und RTL mittlerweile fast die Hälfte des Programms aus. Medienwissenschaftler Alexander Kissler erklärt das Erfolgsmodell - und die Faszination für das Leben der Anderen.

Es wird geküsst, gekocht, verklagt und ausgewandert: Reality-Fernsehen verspricht dem Zuschauer den Blick durchs Schlüsselloch der Nation – und gilt insbesondere für einige Privatsender als Erfolgsmodell. Nach einer aktuellen Studie im Auftrag der Medienanstalten nehmen die Formate bei einigen Sendern mittlerweile fast die Hälfte des Gesamtprogramms ein.

Vox zeigt demnach knapp 40 Prozent Reality-Fernsehen, dicht gefolgt von RTL mit 38 Prozent. Bei Sat.1 liegt der Anteil bei knapp 30 Prozent, KabelEins und ProSieben bleiben unter zehn Prozent. Rund neun Stunden bestreiten damit Vox und RTL täglich mit Formaten wie „Das perfekte Promi-Dinner“, „Familien im Brennpunkt“ oder „Die Schulermittler“.

Insbesondere die Inszenierung einer angeblichen Realität mit Schauspielern, wie zum Beispiel bei „Mitten im Leben“, ist nicht unumstritten. Welche Auswirkungen Scripted Reality auf die oftmals jungen Zuschauer hat, will die Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen (LfM) daher jetzt in einem Forschungsprojekt erarbeiten lassen. LfM-Direktor Jürgen Brautmeier plädierte bereits im Vorfeld für eine Kennzeichnungspflicht der Formate. „Der Zuschauer muss wissen, ob es sich um Realität handelt oder ob er Szenen sieht, die ein Drehbuchautor erfunden oder zugespitzt hat.“

„Normal ist es, besonders unselbstständig zu sein“

Alexander Kissler, Medienwissenschaftler und Autor des Buches „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, befürchtet gar, dass die Formate einen neuen Standard von Realität vermitteln könnten. „Real und normal kann es jungen Zuschauern dann erscheinen, erst einmal um sich zu schreien, wenn sich die eigenen Wünsche nicht sofort erfüllen.“

Die Protagonisten würden zudem oft als Betreuungsfall dargestellt, der selbst mit simpelsten Vorgängen überfordert ist. Ein Experte soll dann die vermeintlichen Schritte auf dem Weg in ein geordnetes Leben vor der Kamera begleiten. „Fast durchgängig werden dabei verschiedene Stadien der Unmündigkeit bebildert, die so leider zur Norm wird. Normal ist es dann, besonders unselbstständig oder besonders schamlos zu sein.“

"Sendungen gehören zu den billigsten Produktionen überhaupt“

Es gebe auch Hinweise darauf, dass die Grenze zwischen erfundenem und nur dokumentiertem Leben für die Zuschauer zunehmend irrelevant werde. „Auch wenn gewisse Überzeichnungen innerhalb der Scripted-Reality-Sendungen keinen Zweifel an deren Inauthentizität lassen, werden die Konflikte zumindest für möglich gehalten“, erklärt Kissler.

Der große Erfolg der Formate liegt für den Wissenschaftler auf der Hand: „Die Sendungen gehören zu den billigsten Produktionen überhaupt.“ Viele Zuschauer sind laut Kissler fasziniert davon, den vermeintlichen Menschen von nebenan zuzuschauen, wie sie ihr Leben nicht oder nur schwer in den Griff bekommen, wie sie sich gehen lassen, sich blamieren oder doch noch auf einen grünen Zweig kommen. „Diese Mischung aus Schadenfreude, Voyeurismus und Alltagshilfe kann durchaus anziehend wirken.“