Essen. Nackte Tatsachen, Volldeppen, viel Inszenierung: „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS), Dieter Bohlens Fremdschäm-Stadl auf RTL, ist zurück. Die Hoffnung, dass es bei DSDS durch neue Konkurrenz wie „The Voice“ doch noch mal um Musik gehen könnte – sie ist erloschen. Die Freaks regieren.

Wer die neunte Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ guckt und gute Stimmen erwartet, war die letzten Jahre im Dornröschenschlaf oder ist dumm. DSDS ist Trash, medial vorgeführter Müll, Dauer-Ohrenbluten auf RTL. Oder mit anderen Worten: ein Grund zum Fremdschäm-Rudelgucken vorm TV. DSDS hat sich mit der neunten Staffel endgültig vom Thema Musik-Castingshow entfernt, und ist nun irgendwo zwischen Scripted-Reality, Sitcom und Doku-Soap gelandet.

Direkt vom ersten Kandidaten der neunten DSDS-Staffel, Marcello Ciurlia, lässt sich der Gesang überhaupt nicht beurteilen. Statt ihn singen zu lassen, zeigten die DSDS-Produzenten, wie viele Kameraeinstellungen, Zeitlupen und Ton-Effekte sie in 30 Sekunden während Marcellos Auftritt unterbringen konnten. Es waren geschätzte 37 „Special-Effects“. Bohlen und Co. drückten Marcello ein Ticket für den Recall in die Hand. Nun ja: Auch das sagt nicht viel über die Gesangsqualität aus.

Mitleid muss man mit den DSDS-Kandidaten nicht haben

Christin Nititzki (22) - nach eigenen Angaben „suchend im Ausbildungsbereich“ - war so schräg, dass man hofft, dass sie eine Erfindung von Drehbuchautoren ist. Sie habe keinen Freund, aber in ihrem Leben bislang „drei One-Night-Stands“ gehabt - jedes Jahr einen, erzählt die mollige Frau und räkelt sich lasziv vor der Kamera. Zudem sei sie musikalisch genau „Mittelmaß“, also „das Richtige für DSDS“. Warum auch immer, versteckte sich die Jury vor Christins Auftritt hinter einem Tisch. Nititzki musste dann vor leeren Jury-Stühlen den Song „Sexy and I Know It“ (LMFAO) tanzen – eine Anspielung auf die „Blind Auditions“ von „The Voice of Germany“? Das Singen, untermalt vom „Psycho“-Soundtrack”, war noch schlimmer. „Es war nicht gut, es war nicht schlecht, es war sauschlecht, richtig gruselig“, sagt Bohlen.

Deutlicher wird der „Pop-Titan“ bei Kenan Yildiz (19). Der hatte seinen Text nicht gelernt, traf die Töne nicht, konnte keine ganzen Sätze bilden und fragte vorsichtshalber: „Darf ich es mehrmals versuchen, wenn ich abkacke?“ Darf er nicht. „Du hast weniger Töne getroffen als ein peruanischer Nackthund Haare am Arsch hat“, bilanziert Bohlen. Mitleid muss man mit dem peinlichen Kandidaten nicht haben. Wer nach acht abgedrehten Staffeln die oftmals menschenverachtenden Sprüche und Spielregeln bei „DSDS“ nicht kennt, dem ist nicht mehr zu helfen – der ist dann reif fürs „Big Brother“-Haus.

Luca Hänni ist für Dieter Bohlen der „Bravo-Boy 2012“

Eine Runde weiter ist Mädchenschwarm Luca Hänni (16) aus Uetendorf in der Schweiz, der derzeit eine Lehre als Maurer macht. „Warst du so scheiße in der Schule, kein Bock gehabt?“, fragt Bohlen. „Nein, ich wollte nicht studieren“, antwortet Luca. Er singt „One Step Closer“ von Myron. Ein paar Töne trifft der brünette Schweizer mit dem Boyband-Look. Reicht nach all den Lachnummern zuvor für Jubelstürme bei Bohlen: „Du bist der prädestinierte Bravo-Boy des Jahres 2012“. Viele Tausende verliebte Teenie-Mädels kratzen wohl schon jetzt ihr Taschengeld zusammen, um für eine mögliche Mottoshow-Teilnahme ihres neuen Idols Prepaid-Karten zu kaufen.

Sascha, ein Umzugshelfer aus Mannheim, nuschelt irgendwann „Böörlin Cööty Gööörl“ (Berlin City Girl – Culcha Candela) in roter Hose und rotem Polo-Shirt. Die Ohren bluten. Das Publikum sitzt in Lauerstellung und wartet auf den fiesen Bohlen-Spruch, über den die Medienethiker debattieren werden. „Du kannst nicht singen“, sagt Bohlen. Nanu, hat die Landesmedienanstalt den Bohlen gezähmt oder ist das Altersmilde?

Bohlen will „keine Furz-Fontänen“

Werbepause. Danach flitzt der Kandidat Alexander Fähnrich aus Graz im goldenen String-Tanga durchs Bild. „Deutschland, ihr seid alle Schlappschwänze, jetzt kommt der richtige Partyboy“, hatte er vorher angekündigt. Der Typ wollte ein Idiot sein. DSDS, diese als Musikshow getarnte Comedy-Serie, bot ihm die nötige Plattform. Bohlen treffend: „Wir brauchen Vulkanausbrüche und keine Furz-Fontänen.“ Der Kandidat darf sich freuen: Er ist nun in Deutschland bekannt. Künftig wird er seinen knackigen Popo auf Mallorca oder in ranzigen Dorfdiscos („Special Guest: Partyboy von DSDS“) für eine Abendgage von 20 Euro Schnapsleichen ins Gesicht stupsen dürfen.

Lediglich Guillaume Albert (27) aus der Schweiz konnte gut singen („Somewhere Over The Rainbow“). Gut reichte bei Bruce Darnell, Neu-Jury-Mitglied und von RTL als „Deutschlands Stil-Ikone“ vorgestellt, für einen Tränenausbruch. Nina Eichinger saß übrigens nicht mehr in der DSDS-Jury. Ihre Rolle – blonde Frau, die nix zu sagen hat – ist nun mit Natalie Horler („Cascada“) besetzt.

Heulende Mädchen, Hass-Tiraden und Hartz IV-Schicksale gab es in der Auftaktfolge nicht. Die folgen, ganz sicher, dann aber am Mittwoch um 20.15 Uhr auf RTL– in Folge zwei der Casting-Peinlichkeiten.