Essen. . Ob „DSDS“ oder „X Factor“, „The Voice of Germany“ oder „Unser Star für Baku“ – die Casting-Shows stecken in einer Quoten-Krise. “Deutschland sucht den Superstar“ ist längst nicht mehr unschlagbar, die jüngste Show markierte ein Staffel-Tief. Und das ist kein Zufall: Der Zeitgeist hat sich gewandelt.

Normalerweise nervt er andere. Doch bei der fünften Mottoshow des Casting-Klassikers „Deutschland sucht den Superstar“ vorigen Samstag liegen seine eigenen Nerven blank. Als DSDS-Kandidat Joey den Disco-Klassiker „Love Is In The Air“ krächzt, reißt sich Jury-Chef Dieter Bohlen die Stöpsel aus den Ohren. Er stampft wütend aus dem Studio, er kann seine eigene Show nicht mehr sehen.

Die Quoten am nächsten Morgen dürfen die Laune von Dieter Allmächtig kaum heben. „DSDS“ – einst unschlagbar – rangiert nur auf dem dritten Platz der Tagestabelle, hinter „Mordkommission Istanbul“ und „Willkommen bei Carmen Nebel“. 4,69 Millionen Zuschauer markieren ein Staffel-Tief für den RTL-Star und seine Karaoke-Kehlen. Im Vergleich zur ersten Mottoshow verliert Ausgabe Nummer fünf eine Million.

Frauen-Quote für die Herren-Runde bei DSDS?

Selbst beim jungen Fernsehvolk verliert „DSDS“ an Strahlkraft. Früher sieht beim Publikum unter 50 jeder Dritte die Show. Diesmal ist es kaum jeder Vierte, der das Wettsingen verfolgt. Schlimmer noch: Wer weiter kommt, will nicht mal jeder Fünfte wissen.

Dazu hagelt es Kritik von außen. Die ausgeschiedene Kandidatin Vanessa Krasniqi fordert eine Frauen-Quote für die Herren-Runde. „Superstar“ Elli Erl, als Siegerin allein unter Männern, wirft RTL vor, eine Freak-Show zu wollen. David Petters, kürzlich ausgeschieden, geht noch weiter. Er erstattet Anzeige wegen Nötigung gegen den Sender.

Auch wenn der TV-Marktführer alle Vorwürfe abstreitet – hat Bohlen schon verloren? Unübersehbar steckt die Mutter aller deutschen Castingshows in der Krise. Mehr noch: Das ganze Genre büßt nach zehn starken Jahren spürbar an Glanz ein.

"The Voice of Germany" soll bieten, was "DSDS" abgeht: gute Stimmen

Dabei hat Sat.1, Nr. 2 unter den Privatsendern und Nr. 4 im Fernsehmarkt, in der dunklen Jahreszeit versucht, der kränkelnden TV-Gattung zu neuem Leben zu verhelfen. „The Voice of Germany“ soll das bieten, was „DSDS“ abgeht: Sänger mit guten Stimmen und Juroren mit guten Manieren. Anfänglich zaubern Zahlen und Quoten der Sat.1-Führung Glanz in die Augen. Doch auf Jubelarien folgen Misstöne. Zum Finale hin holt die Show mit der herzigen Musiker-Mama Nena wieder Luft. 4,01 Millionen Zuschauer oder 12,9 Prozent Marktanteil stimmen Sat.1 milde. „Und doch bleibt ein fader Beigeschmack“, befindet Branchendienst „dwdl“. Das Casting, bei dem zunächst nur Stimmen vorgestellt werden, startet mit mehr als fünf Millionen Zuschauern besser, als es endet. Das Gleiche gilt fürs Publikum unter 50.

Noch schlechtere Erfahrungen muss RTL-Tochter Vox machen. Das Finale von „X Factor“ verliert im Herbst gegenüber dem Vorjahr 1,10 Millionen Zuschauer. 1,8 Millionen oder 6,9 Prozent Marktanteil sind dürftig. Auch junge, amüsierwütige Casting-Liebhaber mögen kaum hinsehen. Der Marktanteil stürzt von 15,4 auf 10,4 Prozent ab.

TV-Darwinismus lebt vom Zuspruch junger Leute

Dabei lebt der TV-Darwinismus gerade vom Zuspruch junger Leute, die das Casting als die logische Fortsetzung vom Schuldrill und Uni-Stress sehen. Das Selektionsfernsehen versinnbildlicht auf den ersten Blick auf den Anspruch der Leistungsgesellschaft: Der Beste schafft es. Gerade gesellschaftliche Außenseiter glauben an dieses Versprechen.

Doch im Laufe der Jahre merken immer mehr Zuschauer, dass das Fernsehen gar nicht an Leistung interessiert ist. Stattdessen manipuliert es allzu gern Gefühle des Publikums. Mal appelliert hämisches Deppen-TV an Schadenfreude erbarmungsloser Zuschauer, mal appellieren Schmalz-Inszenierungen vorgeblich harter Schicksale an sentimentale Regungen. Dazu kommt, dass die Shows gar keine „Superstars“ produzieren. Die Sieger sind kaum mehr als Wunderkerzen: Ihr Glanz verglüht schnell. Weiß noch jemand, wie die ESC-Gewinnerin des Vorjahrs hieß? Eben.