Essen. Was hat BAP-Sänger Wolfgang Niedecken mit Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyern gemeinsam? Beide haben einen Beruf, der sie fordert - und beide haben am Sonntag bei Günther Jauch genau darüber gesprochen. „Gestresst – Arbeiten bis zum Umfallen?“ lautete der Titel der Talkrunde. Und Niedeckens Fazit: Er wolle künftig “den Ball flach halten“.
Gerade noch nahm BAP-Sänger Wolfgang Niedecken den Echo entgegen, nun sitzt er bei Günther Jauch im Studio und spricht über seinen Schlaganfall und was dieser mit dem Thema Stress zu tun hat. „Ich konnte nicht gut genug nein sagen“, sagt er. Und: „Ich hatte zu wenig Zeit, mich um mich selbst zu kümmern.“
Es ist ein kluger Schachzug, Niedecken in die Talkshow zum Thema „Gestresst – Arbeiten bis zum Umfallen?“ einzuladen. Den Mann, an dessen Geschichte gerade noch so viele Menschen bei der Echo-Verleihung Anteil genommen haben. Den Mann, der das Glück hatte, dem Tod zu entgehen. Denn Niedecken steht für eine der Botschaften dieser Sendung: Wer sich des Todes bewusst ist, der kann bewusster leben – und sich so weniger Stress machen.
Wie Spitzenpolitiker mit Stress umgehen
„Auf diese Weise wird alles relativer: Man nimmt alles ernst, aber nicht zu ernst“, sagt auch der Benediktiner-Mönch Notker Wolf. Dank Niedecken steht der Mönch mit dieser Ansicht in der Sendung nicht alleine. Jauch holt damit ein Thema nah heran, das so mancher Fernsehzuschauer vielleicht in Richtung Glauben abgeschoben hätte. Wenn auch ein volksnaher Rockmusiker diese Botschaft vertritt, dann kann sich wohl kaum einer dagegen wehren.
Doch es geht natürlich nicht nur um Leben oder Tod. Stress ist vor allem ein Alltagsproblem. Und darauf werfen Jauch und seine Gäste vor allem eine Perspektive: Wie gehen Spitzenpolitiker damit um? Es ist eine hilfreiche Perspektive. Denn wenn diese in ihrem stressigen Job Wege gefunden haben, dann kann man sich davon vielleicht etwas abschauen. „Ich habe lange gebraucht, Grenzen zwischen der Politik und meiner Familie zu ziehen“, sagt Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen. „Für mich ist wichtig, zwei bis drei Stunden lang einfach nichts zu machen“, sagt Wolfgang Kubicki, FDP-Bundesvorstandsmitglied und Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein. Für Wolfgang Niedecken bedeutet das: Eineinhalb Stunden Radfahren. Irgendwann denke er dann an nichts mehr und erhole sich.
Keine Dienst-Mails in der Freizeit
Doch wo liegt eigentlich das Problem? Jauch lässt dieses von Stress-Forscher Prof. Michael Kastner beleuchten. Acht Milliarden Euro kosteten Ausfälle durch psychische Belastungen die deutsche Wirtschaft jährlich. Hauptprobleme seien hoher Zeitdruck, ständige Erreichbarkeit, Angst vor Arbeitsplatzverlust und fehlende Anerkennung, so Kastner. „Es ist nicht so schwierig, viel zu arbeiten, es sind vor allem diese emotionalen Komponenten, die vielen Probleme bereiten.“
Und was tun Unternehmen dagegen? Was tut die Politik? Spätestens seit dem Aufkommen des Themas Burn-Out steht das Thema Stress auch auf der Agenda von Firmenchefs und Spitzenpolitikern. Als Beispiel wird eine Initiative von des Volkswagen-Konzerns gezeigt, dernach viele Mitarbeiter während der Freizeit keine E-Mails mehr auf ihre Diensthandys geschickt bekommen. Ursula von der Leyen mahnt eine hohe Verantwortung der Unternehmen an, ihre Mitarbeiter vor Überbelastung zu schützen – und verfällt dabei ein wenig in den dozierenden Ton der Ministerin. Aus ihrer Sicht ist das Problem, wenn der Stress nicht durch Erholung und Anerkennung ausgeglichen werde.
Für Wolfgang Niedecken gibt's nur noch Zugaben
Den entlassenen Schlecker-Mitarbeitern versuche man nun in ihrer Angst vor Arbeitslosigkeit zu helfen, indem man sie nach Möglichkeit in einer Übergangsgesellschaft beschäftige. Doch die großen gesellschaftlichen Lösungsvorschläge bleibt die Sendung am Ende schuldig. Hier wird klar: Die Diskussion muss weiter gehen.
Für sich selbst hat Wolfgang Niedecken jedenfalls schon eine Lösung gefunden. Er lebe seit seinem Schlaganfall bewusster. Innerhalb der Band nenne er die kommende Tour bewusst „die Ball-flach-halten-Tour“. „Alles, was jetzt kommt, ist Zugabe und macht nur noch Spaß.“