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Volksmusik war gestern. Stattdessen hat das gebührenfinanzierte Fernsehen das Genre der bodenständigen Musikshows behutsam modernisiert: „Willkommen bei Carmen Nebel” (Samstag, ZDF, 20.15 Uhr)

Volksmusik war gestern, beim Privatfernsehen sowieso. Da haben krachlederne Gaudi-Burschen und dralle Dirndl nur noch als brutalst komische Vorlagen für die Parodien von Bastian Pastewka und Anke Engelke eine Chance. Selbst das Erste und das Zweite huldigen nicht länger dem Motto „Mit den Dritten sieht man besser”. Stattdessen hat das gebührenfinanzierte Fernsehen das Genre der bodenständigen Musikshows behutsam modernisiert. „Willkommen bei Carmen Nebel” (Samstag, ZDF, 20.15 Uhr) steht dafür als bestes Beispiel.

Die blonde Mittfünfzigerin wirkt jünger, als sie ist. Auch wenn sie auf die demonstrative Jugendlichkeit ihres zuweilen papageienbunten Sender-Kollegen Thomas Gottschalk verzichtet – die Moderatorin gibt sich vorsichtig modern. Ihre Shows riechen nach 4711, einerseits sehr klassisch, andererseits aber auch ein bisschen frisch.

Nicht nur Diplom-Jodler, auch fremdsprachiges Liedgut

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Von DerWesten

Denn Carmen Nebel vermeidet es geschickt, lediglich Diplom-Jodler und Bierzelt-Carusos trällern zu lassen. Vielmehr gibt sich die studierte Englisch-Lehrerin auch mal international – mit fremdsprachigem Liedgut.

Dabei müssen allerdings zwei Bedingungen erfüllt sein: Wer bei Carmen Nebel auftreten darf, muss schon immergrüne Qualitäten besitzen. Entweder muss der Künstler in der ewigen Bestenliste stehen, sein Stück oder sein Genre. Zudem muss das Angebot leicht wie Zuckerwatte oder zumindestens bodenständig wie Bockwurst sein.

Denn Carmen Nebel bedient ein Publikum, das mit dem schnellen Wandel der globalisierten Welt fremdelt. Dazu kommt, dass der Kern ihrer Fans zu den geburtenstarken Jahrgängen gehört. Deren Risikofreude nimmt im umgekehrten Maß ab, wie ihr Durchschnittsalter steigt; Risiko, so scheint es, bedeutet für viele Babyboomer eher als Last denn als Lust. Vor allem das Vertraute weckt bei ihnen Vertrauen.

So klingt Konsens: Carmen Nebel hat nicht selten sieben Millionen Zuschauer

Kein Wunder, dass sich Nebel-Fans lieber mit dem überraschen lassen, was sie schon kennen: mit dem Soundtrack der eigenen Jugend, der verklärende Erinnerungen weckt an Tanzstunden und Klassenfahrten, an Disco-Abende und Urlaube ohne Kinder. Carmen Nebel bietet den Zuschauern im Saal und daheim vor den Bildschirmen einen samstäglichen Kurzurlaub ins Reich der Nostalgie an. Sie lädt zudem ein zu einer kleinen Flucht aus einer Welt, die am Abgrund zu stehen scheint und morgen womöglich schon einen Schritt weiter ist.

Carmen Nebels Wohlfühl-Shows halten dagegen mit autotauglichem Radio-Pop, der konsequent Harmonie in Noten beschwört, mithin eine heile Welt.

Dazu passt logischerweise, dass man bei Carmen Nebel ausgesprochen nett zu einander ist. Flapsige Sprüche wie in Oliver Geissens „Chart-Show” liegen ihr genauso fern wie die breitbeinige Moderation eines Stefan Raab – willkommen im Land des Dauerlächelns!

Aber dass Carmen Nebel mit ihren Shows nicht selten sieben Millionen Zuschauer lockt, hat noch einen anderen Grund. Die TV-Frau aus Grimma, Sachsen, bringt den kleinsten gemeinsamen Nenner in Ost und West zum Klingen. Sie liefert den Soundtrack der gesamtdeutschen Konsens-Gesellschaft. Die 54-Jährige huldigt einer mehrheitsfähigen Pop-Kultur. In ihren Shows wächst zusammen, was zusammengehört.

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