Köln. .

Er bleckte einst die Zähne. Pressekonferenzen hin, TV-Shows her: Wenn Stefan Raab in jungen Jahren vor Publikum stand, wirkte er wie ein Preisboxer, breitbeinig, ja provokant. Vorbei. Inzwischen hat sich der Rocky der TV-Unterhaltung gegen alle Widerstände durchgeboxt. Mehr noch: Der Entertainer ist spätestens seit dem Tri-umph beim Eurovision Song Contest der King im Ring.

Rückblende. In den 90ern erfand sich das Fernsehen neu. Die Privaten mischten die Szene auf. Die jungen Wilden richteten sich mit ihrem Programm an wilde Junge – genau das Publikum, das die um Seriosität bemühten Öffentlich-Rechtlichen vernachlässigten. Der damalige RTL-Boss Helmut Thoma schmähte ARD und ZDF als „Kukident-Fernsehen“.

Die gesetzten TV-Zuschauer hassten ihn

Gefühlt stellte die Generation Babyboom in jenen Jahren die Mehrheit der Gesellschaft. Kein Wunder, dass Nachwuchs-Talente wie Stefan Raab damals keiner noch so dümmlichen Provokation aus dem Weg gingen. Kein Wunder aber auch, dass Krawall à la Raab polarisierte: Die Fernsehjugend liebte ihn, dafür hasste der gesetzte Teil der TV-Nation den Schlachtersohn aus dem Kölner Vorort Sülz umso mehr. Das blieb auch so, als Raab 1999 nach sechs Jahren vom Musiksender Viva zum Münchner Sender ProSieben wechselte, dem Jugendheim des deutschen Fernsehens.

Die sogenannten Late Night Shows boomten damals, und ProSieben lancierte Raab mit „TV total“ als Aldi-Ausgabe von Spottvater Harald Schmidt, dem damals bei Sat.1 nichts heilig war. Raab, in Jeans und Cord-Sakko, wirkte hemdsärmliger als der schöngeistige Chef-Zyniker, der feinen Zwirn bevorzugt. Anfangs flimmerte Raabs Talk wöchentlich über die Bildschirme der Republik. Inzwischen läuft das Format vier mal pro Woche. Zudem bedient er ein Publikum, das als so attraktiv gilt, dass so viele Top-Stars in seiner Sendung auftreten wie sonst nur beim Show-Dino „Wetten, dass...?“ vom ZDF.

Der Mann mit
den 1000 Talenten

Während „Dirty Harry“ kaum mehr ist als ein Zirkuspferd, das nur einen Trick beherrscht, entpuppte sich Raab als der Mann mit 1000 Talenten. Beiläufig verpasste er einem in den letzten Zügen liegenden Genre eine Frischzellenkur: der Fernsehshow.

Raab baute sein „TV total“ kurzerhand zu einer Marke mit Sonderaktionen aus – von der „Wok-WM“ bis zum „TV total Turmspringen“, vom „Stockcarrennen“ bis zum „Autoball“. Er knüpfte da an, wo die verstorbene Bildschirm-Legende Camillo Felgen mit „Spiel ohne Grenzen“ aufhörte. Raab setzt eher auf Spiel denn Sport. Seine Shows appellieren an ein Publikum, das Klimmzüge interessanter findet als geistige Klimmzüge.

Es regnete Fernsehpreise

Der Überdreh: Der wagemutige Kölner gab die Moderation an seinen Adjudanten Matthias Opdenhövel ab – und stürzte sich selbst als Teilnehmer ins Getümmel. Natürlich wusste der Mann mit der scheinbar unendlichen Reihe von Keramik-Kronen, dass das Publikum ein Großmaul wie ihn verlieren sehen will. Raab gegen alle – genau davon leben seine Shows. Dem Publikum gefällt’s.

Da überrascht es wenig, dass Raab diese Idee im Jahr 2006 ausbaute zur Show „Schlag den Raab“. Der Kampf des Showmanns gegen einen Publikumskandidaten beschert ProSieben, dem größten unter den kleinen Sendern, ordentliche Quoten – obendrein regnete es Fernsehpreise. Mehr noch: Der erfolgreichste Neustart erwies sich als TV-Hit auf dem internationalen Markt.

Mit raffinierter Salami-Taktik eroberte der gelernte Metzger Marktanteile und Ansehen

Mit einer raffinierten Salami-Taktik eroberte der glernte Metzger Marktanteile und Ansehen. Inzwischen hat er Radau nicht mehr nötig. Im Gegenteil: Raab wirkt heute souverän und locker, jungenhaft frech, aber nicht mehr spätpubertierend böse.

Mit dem Triumph beim Eurovision Song Contest machte gelernte Handwerksgeselle sein Meisterstück. Bei den Verhandlungen mit ProSieben und der ARD ging Raab aufs Ganze – und gewann. Der Entertainer damals zur WAZ: „Ich messe mich gerne, muss das Risiko kalkulieren können. Wenn ich die Chance habe, ohne große Verluste gewinnen zu können, nehme ich mich der Sache an.“

Das Ergebnis: Der Goldfinger der TV-Branche brachte privates und gebührenfinanziertes Fernsehen zusammen und beendete die Mission Oslo mit einem Triumph. Mehr geht nicht, im Moment. Thomas Gottschalk war gestern – die Zukunft gehört Stefan Raab.