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Warum über Pilawas Frisur, Jauchs Brille und Gottschalks Klamotten gestritten wird: Die Herren sind Teil der eigenen Familie. Und aus der Deckung des heimischen Wohnzimmers wird fleißig gelästert.

Die „Neue Osnabrücker Zeitung” verriet es den deutschen Nachrichtenagenturen. Und die verbreiteten es sofort in der Republik: Jörg Pilawa hat Ärger mit seiner neuen Frisur. Keine Eilmeldung wie bei einem Vulkanausbruch oder einem Ministerrücktritt, aber immerhin. Und wer nun glaubt, das norddeutsche Blatt hätte diese exklusive Nachricht doch höchstens Angela Merkels Schnittmeister Udo Walz kabeln sollen, der weiß nichts über die Befindlichkeiten im Land.

Wenn Fernsehmoderatoren sich die Haare wachsen lassen, grelle Sakkos tragen oder die falsche Brille wählen, hagelt es E-Mails und Briefe beim Sender. Und das Hörertelefon bimmelt. Der Rest lästert aus der Deckung des heimischen Wohnzimmers über das knappe Kostüm der Wetterfee. Die aus dem Fernsehen, die gehören uns, gehören zur Familie, sind ständig zu Besuch – die können nicht einfach mit sich machen, was sie wollen.

Unbändige Lust aufs Banale

„Ich habe den Eindruck, dass ganz Deutschland meine neue Frisur diskutiert”, hat sich Jörg Pilawa beklagt. Das allerdings würde selbst Kulturpessimisten erschüttern, die am Brot-und-Spiele-Kosmos und der ungebändigten Lust aufs Banale verzweifeln müssen. Offenbar meldeten sich aber tatsächlich jede Menge Zuschauer beim ZDF, weil sie über die etwas längeren Haare des artigen Fernsehmanns „sehr irritiert” gewesen seien.

„Es sind schon oft dieselben, die sich bei uns melden, und von denen sind es relativ viele, die gerne das Outfit kritisieren“, berichtet ZDF-Sprecher Peter Gruhne. „Sie empfinden die Prominenten eben als Teil ihres Lebens.” Er könne nachvollziehen, wenn jene, die im bunten Bereich arbeiteten, darauf auch reagierten.

„Tagesschau“-Sprecher Marc Bator riskierte unlängst ein wuchtiges Brillenmodell und gab sofort auf. Wer will schon als „wiederauferstandener Erich Honnecker”, „weibliche Nana Mouskouri” oder „Panzerknacker” tituliert werden? Als Günther Jauch zum ersten Mal bei RTL mit Brille Millionäre machte, gab er gleich eine offizielle Erklärung ab. „Ab jetzt werden Sie mich nie mehr ohne sehen. Sie kommen auch noch in das Alter.”

Aussehen und Einschaltquote

Ein Mediendienst fabulierte, dass „vielleicht gerade das neue Aussehen Jauchs” für die hohe Einschaltquote verantwortlich gewesen sei. Und ein Boulevardblatt fragte „Wie gefällt Ihnen Jauch mit Brille?”, als gelte es, einen Volksentscheid darüber herbeizuführen. Frank Elstner und Harald Schmidt hatten die Sehhilfe bereits salonfähig gemacht, und auch Sabine Christiansen zeigte sich plötzlich mit Gläsern auf der Nase.

Um Gottschalks Geisterbahn-Garderobe ist es indes ruhig geworden. Der Mann hat über die Jahre alles getragen, was irgendwie auf einen Körper passt und sämtliche Farben miteinander kombiniert, die die Palette hergibt. Da ermattet irgendwann sogar der Gebührenzahler mit Geschmacksanspruch.

Für den Medienpsychologen Jo Groebel ist das Interesse des Publikums am Stil der Fernsehschaffenden vollkommen normal. „Es gibt eine Bindung zu diesen Menschen, die wir regelmäßig sehen, die eine ganze Bandbreite von Beziehungen abdeckt”, sagt er. Das könne der Freundesersatz oder sogar eine erotische Bindung sein. Man projiziere auf die Menschen vor der Kamera das, was einen im realen Leben beschäftige. Groebel: „Man nennt das parasoziale Interaktion.” Das sei oft nicht steuerbar. „Das Großhirn erzählt uns erst zeitversetzt, dass wir eine Fiktion erleben und den, über den wir da gerade reden oder nachdenken, nicht persönlich kennen.”

Sloterdijks Aussehen

Das Phänomen sei keineswegs nur in bestimmten Schichten zu finden. „Das geht querbeet”, sagt Groebel, „es artikuliert sich nur unterschiedlich.” Natürlich wende sich nicht jeder sofort persönlich an einen Sender. „Aber die Debatte darüber, ob der oder die heute Abend wieder gut aussieht oder nicht, die kennt doch beinahe jeder.” Manchmal bleibe nicht einmal haften, was der Betreffende gesagt habe, wohl aber, was er anhatte. Selbst zum Philosophischen Quartett fänden sich Reaktionen zu Äußerlichkeiten. „Bei Facebook haben sie sich hinterher darüber ausgelassen, wie denn Peter Sloterdijk wieder ausgesehen hätte”, erinnert sich Groebel. Der Philosoph, das am Rande, überlässt die Form seiner Haare eher natürlichen Zufällen.

Kein Vorbild jedenfalls für Jörg Pilawa.