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„Im Angesicht des Verbrechens“, die gefeierte Krimi-Serie von Regisseur Dominik Graf, startet am Freitag in der ARD. Jürgen Overkott sprach mit ihm über Freundschaft, Familien-Verbundenheit und Gangster-Kino.
Was verbindet Sie mit Francis Ford Coppola?
Dominik Graf: Coppola realisierte mit dem „Paten“ den denkbar größten Traum des Gangsterkinos. Das Erleben aller drei Paten-Filme im Kino schaffte für uns Regiestudenten damals eine starke Verbindung zu seinem Kino. Sein Katholizismus, seine von Schuld und Sühne geprägten Macht-Phantasien haben einen archaischen Abdruck mitten in den tobenden, modernen 7oer-Jahren hinterlassen.
Inwiefern haben Sie sich von seinem Dreiteiler „Der Pate“ anregen lassen?
Graf: Man kommt bei allen größeren Gangster-Thrillern am „Paten“ und an „Once upon a time in America“ von Sergio Leone nicht vorbei. Die Mix aus Brutalität, Gier und Königsdrama ist prägend.
Was war der Auslöser für die Serie?
Graf: Das grandiose Drehbuch von Rolf Basedow, der jahrelang in der kriminellen Szene recherchiert hatte und sein Wissen zu einem verzweigten Baum von Figuren und Dramaturgien verdichtete.
Die gefloppte, aber dennoch ausgezeichnete Sat.1-Serie „Blackout“ stellte Berliner Türken in den Mittelpunkt. Warum haben Sie sich auf Russen konzentriert?
Graf: Flop oder nicht, das zählt in der Filmgeschichte am Ende wenig. Wichtig ist nur, wie gut ein Film geworden ist. Basedow hat das russische Milieu kennengelernt während seiner Studien zu „Hotte im Paradies“ und hat sich darin vertieft. Ich habe seine Mischung aus Überhöhung und Authentizität fasziniert gelesen.
Die Anlaufzeit für das Projekt war sehr lang. Warum war es so schwer, das öffentlich-rechtliche Fernsehen dafür zu begeistern?
Graf: Es war überhaupt nicht schwer. Als ich dazukam, fand ich eine verschworene Gruppe von einem halben Dutzend begeisterten Redakteuren, allen voran Wolf Dietrich Brücker vom WDR.
War die Zusammenarbeit mit einem Privatsender eine Option? Wenn nein, warum nicht?
Graf: Ich hab noch nie Filme für Privatsender gemacht. Option - klar, immer, aber es hat sich bislang nie ergeben.
Das Projekt stand aus finanziellen Gründen zeitweilig auf Messers Schneide. Wie viele schlaflose Nächte haben Sie verbracht?
Graf: Viele.
Was haben Sie aus den Begegnungen mit Menschen aus russisch-jüdischen Szene gelernt?
Graf: Eine tolldreiste Lebensfreude, gepaart mit einer Melancholie, eine ungeheure Nähe zu den Knotenpunkten des Lebens, den Lebenslinien, den Gefahren wie den Freuden. Eine andere Spiritualität im Alltag.
Auf Ihre Weise ist „Im Angesicht des Verbrechens“ auch eine Familienserie. Was haben die Russen, was wir nicht mehr haben?
Graf: Eine archaische Familien-Verbundenheit. Gar nicht mal so sehr nachahmenswert aus meiner Sicht, eher gefährlich. Ich glaube, „Familie“ und alle die dazugehörigen Zwänge, all die ungeschriebenen Gesetze haben auch eine ungeheuer zerstörerische, rückwärts gewandte Wirkung auf Menschen. Ich bin eher für das westliche aufgeklärte Verhältnis zur Familie, auch zur eigenen Familie.
Die Serie ist auch ein Buddy-Movie. Welches Bild von Männerfreundschaft haben Sie?
Graf: Naja, Männerfreundschaft... eher Freundschaft überhaupt: Absolute emotionale Verlässlichkeit, aber auch die Zuverlässigkeit, sich gegenseitig die Wahrheit zu sagen. Gemeinsame Erfahrung. Im meinem Alter ist man zumeist schon zusammen älter geworden, hat sich geändert, wurde vom Leben verändert... all diese Wege gemeinsam gehen.
Der Mammut-Film macht von Anfang an klar, dass es um Gier geht. Ist Gier das zentrale Thema der vergangenen Jahre?
Graf: Natürlich. Auch wenn die Gier als mentales Benzin des neuen Jahrtausends schon fast ein Klischee ist, aber an manchen Ecken bestätigen sich Klischees in Gangster-Thrillern – oft aufs lustigste, absurdeste - und an anderen Ecken muss man die Dinge deutlich gegen alle Erwartungen erzählen. Fragen Sie Basedow, er hat hart daran gearbeitet.
Die Serie ist für deutsche TV-Verhältnisse ungewöhnlich hart. Wie schwer war es, Gewalt- und Sex-Szenen durchzusetzen?
Graf: Gewalt ist immer ein Problem. Im Leben wie im Film. Die Welt ist voller Gewalt. Es kommt darauf an, zu zeigen wie verheerend und zerstörerisch die Gewalt ist.
Zugleich enthält die Serie poetische Bilder, die das Publikum so noch nie gesehen hat – etwa der Ritt eines Mädchenhändlers, der für zwei junge Ukrainerinnen Blumen von einer Wiese pflückt. Wo haben Sie Bilder wie diese aufgesogen?
Graf: Auch wieder: Es ist der Autor Basedow, der diese Bilder vorgegeben hat. Ich musste sie nur so zu realisieren versuchen, wie sie da standen. Filmregisseure haben viel weniger „Visionen“ als man allgemein so denkt, ihre Drehbuch- Autoren hingegen sind oft die wahren Schöpfer!
Statt eines klassischen Cliffhangers enden die Episoden mit Szenen, die auf die kommende Folge einstimmen. Warum?
Graf: Mal sind es Cliffhanger, mal „Einstimmungen“. Ich bin nicht so ein Fan des atemlos machenden Spannungsdrucks bei Serien. Ich möchte selber als Zuschauer viel mehr den epischen Horizont immer vor mir ausgebreitet bekommen.
Sie drehen immer wieder mit Misel Maticecic. Was fasziniert Sie an diesem Burschen?
Graf: Wandlungsfähigkeit. Mühelose Männlichkeit. Skrupellosigkeit beim Wagemut in den Szenen selbst. Humor.
Die Serie sammelt Preise – wie zuletzt beim Deutschen Fernsehpreis. Glauben Sie, dass sie zu einer Blaupause für kommende Krimis wird?
Graf: Mal sehen. Die Serie wird Freunde finden, aber auch Gegner - wie immer in unserer Branche. Und falls die Quoten mau sind – wie etwas bei der tollen Serie KDD - dann wird eher das Gemurre lauter werden. Das Wichtigste ist, sie so gemacht haben zu können. Der Dank hierfür geht voll an die TV-Redakteure!