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Viele Argumente, keine Lösungen: Die Diskussionsrunde bei Maischberger geriet zum kreisförmigen Nachdenken über den abgewrackten Sozialstaat. Bei Forderungen nach Mindestlöhnen, Kombilöhnen, Ausbau der öffentlichen Beschäftigung brummte dem Schlager-Barden Howard Carpendale am Ende der Kopf.

Der Einstieg in die gestrige Runde von Menschen bei Maischberger passte zum leicht überdrehten Titel der Sendung: „Der abgewrackte Sozialstaat“. Der 80-jährige Kurt Biedenkopf – Ex-Generalsekretär der CDU, Ex-Ministerpräsident Sachsens und immer noch ein politischer Querdenker - eröffnete die Runde mit dem launigen Hinweis, dass sich sowohl SPD als auch CDU seit den 60er und 70er Jahren regelmäßig überboten haben beim Verteilen von sozialen Wahlgeschenken. So habe man sich vom Grundgedanken, dass der Sozialstaat im wesentlichen Hilfe in der Not sein sollte, weit entfernt. Und insofern müsse man Guido Westerwelle dankbar sein, dass er nun die Debatte um Sinn und Grenzen der sozialen Grundsicherung erneut angestoßen habe – abzüglich der Tatsache, dass er so etwas in seiner Rolle als Außenminister besser hätte sein lassen sollen.

Schlagersänger Howard Carpendale.
Schlagersänger Howard Carpendale.

Doch obwohl der Einstieg fulminant geriet, blieb dann die anschließende Debatte um die Zukunft von Hartz IV & Co dankbarerweise erträglich bis einträglich: SPD-Fraktions-Vize Hubertus Heil, der Linken-Vormann Gregor Gysi, der 28-jährige arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP, Johannes Vogel, und der deplatzierte Schlager-Barde Howard Carpendale bemühten sich um zivilisierte Umgangsformen.

Vertrackte Materie

Immerhin. Mehr Licht in die Sache brachten sie für den Zuschauer allerdings nicht unbedingt– zu vertrackt ist die Materie, was den aus Südafrika stammenden Wahldeutschen Carpendale zum Resümee des Abends verleitete: Ihm brumme der Schädel nach all den Argumenten, aber Lösungen sehe er nicht. Wohl wahr. Die Frage, wie man möglichst allen Menschen ein existenzsicherndes Einkommen sichern könnte, ist die Kernfrage des Sozialstaates und der Versuch einer Antwort dreht sich seit Jahren bereits im Kreis.

Wer eine einfache, umsetzbare Lösung finden würde – der hätte gute Chancen auf die nächste Kanzlerschaft. Wobei das nicht an den einfachen Lösungen liegt. Die gibt es. Nur mit der Umsetzbarkeit hapert es, wie die Debatte zeigte.

Gysi etwa forderte – wie üblich zu solchen Gelegenheiten - vehement einen starken Ausbau des öffentlichen Beschäftigungssektors: Nachhilfeförderung für Schüler, Altenbetreuung und, und, und. Sein Argument: Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten sei Deutschland im öffentlichen Sektor unterbesetzt. Die Arbeit gebe es. Was ja auch niemand bestreitet – allerdings einen alten landespolitischen Haudegen und Sparfuchs wie Biedenkopf natürlich mit der Frage auf den Plan ruft: Wer soll das denn bezahlen. Gerade der öffentliche Sektor ist pleite wie nie – und die Sozialabgaben wiederum seien innerhalb von 40 Jahren um das neunfache gestiegen. Gysis Antwort: Mit einer Reichen- und Börsen-Umsatzsteuer – die sich leider noch im Theorie-Stadium befinden. Der Bär, dessen Fell man da verteilen will, ist noch nicht einmal geboren.

Mindestlöhne - Jobvernichter

Gregor Gysi von der Linkspartei.
Gregor Gysi von der Linkspartei.

SPD-Fraktions-Vize Heil wiederum trommelte für den Mindestlohn, den außer Deutschland fast jedes europäische Land flächendeckend habe – um so zu verhindern, dass immer mehr Menschen trotz Vollzeitjob auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Biedenkopf und Vogel wanden ein, dass damit etliche Jobs vernichtet würden, die nur existieren, weil sie eben so billig sind. Und wenn die höheren offiziellen Löhne nicht zu erzielen sind, dann wird die Arbeit inoffiziell zu inoffiziellen Preisen erledigt – vulgo Schwarzarbeit. Zudem sei das Beispiel Frankreich abschreckend, das sowohl einen exorbitant großen öffentlichen Beschäftigungssektor aufweist (jeder dritte Arbeitnehmer) und auf flächendeckende Mindestlöhne setzt: Derzeit kämpft die Grande Nation mit einer extrem hohen Staatsverschuldung und einer schnell wachsenden Jugendarbeitslosigkeit.

Der Vorschlag des jungen Liberalen Vogel, niedrige Löhne mit staatlichen Mitteln aufzustocken wiederum konterte Hubertus Heil mit dem durchaus richtigen Hinweis, dass dies die Abwärtsspirale bei den Löhnen noch beschleunigen würde.

Kompromisse als Lösung

Trotz Carpendales Kopfbrummen und der Kreise, in der sich die gestrige Debatte drehte, kann man davon ausgehen, dass sich eine Lösung findet, die wie in Deutschland üblich, eine Summe von Kompromissen sein wird:

Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU).
Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU).

Ja, es wird einen stärker geförderten öffentlichen Sektor geben. Biedenkopf sieht ihn vor allen Dingen bei den Kommunen angesiedelt, weil nur auf dieser Ebene die Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen bewertet werden kann. Dazu muss man den Kommunen allerdings erst wieder finanzielle Spielräume schaffen.

Ja, es wird mehr Mindestlöhne geben – aber wahrscheinlich nicht flächendeckend – weil ansonsten die Tarifautonomie ganz verloren wäre. Vielleicht gibt es auch Kombilohn-Modelle für besondere Gruppen von Arbeitslosen.

Lob für Deutschland

Deutschland tut sich wie immer schwerer als andere Staaten bei der Suche nach Lösungen, die Bedächtigkeit muss kein Fehler sein. Erst jüngst hat das renommierte britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ darauf verwiesen, dass sich Deutschland ganz wacker, nein bravourös durch die Krise windet: Da man nicht vollends auf den anglo-amerikanischen Wirtschaftsliberalismus der 90er Jahre aufgesprungen ist, sind die Auswirkungen des Banken-Crashs noch überschaubar. Eine Immobilienblase gibt es nicht. Die deutsche Wirtschaft verfügt – anders als die USA oder Großbritannien - weiterhin über einen stabilen industriellen Sektor. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Unternehmen wurden Zehntausende Jobs in Kurzarbeit gesichert.

Wir mögen nie schnell sein und uns lange im Kreise drehen – richtig schlecht sind die Lösungen am Ende selten. Zu diesem Trost fanden zwischenzeitlich auch die Diskutanten bei Maischberger.