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Erst Will und Illner, nun Plasberg: Das H-Wort hat Konjunktur in den Polit-Talkshows der Republik. Bei der Hartz-Runde in „Hart aber fair“ konnte man leicht die Orientierung verlieren. Die Debatte taumelte zwischen Sachgutscheinen, Populismus-Vorwürfen und Hängebauchschweinen.
„Was ist in Hannelore Kraft gefahren?“ Diese Frage, so bekannte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Nikolaus Schneider, sei ihm spontan durch den Kopf geschossen, als er am letzten Wochenende die ersten Meldungen über den Hartz-Vorstoß der nordrhein-westfälischen SPD-Vorsitzenden im Radio hörte. Da war Schneider wohl nicht der einzige. Hartz-IV-Empfänger, die für einen symbolischen Lohn Laub fegen, Straßen kehren oder in Altenheimen vorlesen sollen - klang das nicht verdächtig nach dem Sozialstaats-Wüterich Guido Westerwelle?
Sozialdemokratin Kraft bemühte sich von Beginn an, sich von dem Chef-Liberalen und dessen Verbal-Angriff auf das Sozialsystem („spätrömische Dekadenz“) abzusetzen. Sie sei „überrascht“ von der Diskussion, die ihre Wortmeldung ausgelöst habe, gab sie zu Protokoll. Westerwelle habe den Eindruck erweckt, „Arbeitslose sitzen zuhause herum und wollen nicht arbeiten“. Ihr Ansatz sei aber ein ganz anderer. „Ich will keine Pflicht zur Arbeit, sondern ein Recht auf Arbeit“, so Kraft. Und reguläre Arbeitsplätze würden die gemeinnützigen Jobs ohnehin nicht verdrängen. Da war dann auch Kirchenmann Schneider wieder an ihrer Seite. Er glaubt: „90 Prozent der Arbeitslosen wollen gerne arbeiten.“
„Es besteht Pflicht zur Gegenleistung“
Die Abteilung Attacke übernahm umgehend Martin Lindner vom Wirtschaftsflügel der FDP. „Das ist billiger Populismus“, fuhr der forsche Liberale die SPD-Frau an. Und überhaupt, wer denn die Hartz-Gesetze auf den Weg gebracht habe, damals in Berlin? „Ihre Partei hat das doch mitbeschlossen“, ging Lindner Kraft an. Seine Credo: Wer vom Staat Geld bekommt, muss auch etwas dafür zurückgeben. „Es besteht Pflicht zur Gegenleistung“, so Lindner. Und wenn der Staat unterstützen müsse, dann am besten mit Sachleistungen und Gutscheinen. Zaghafte Unterstützung kam von der Unternehmerin Claudia Sturm: „Nicht immer der Staat soll alles finanzieren.“
Auch der Stern-Journalist Walter Wüllenweber hält von den Gemeinwohl-Jobs für Langzeitarbeitslose nichts und hatte dafür auch gleich ein gewichtiges Argument parat. Als man vor Jahren in von hoher Arbeitslosigkeit geplagten Regionen Ost-Deutschlands einen ähnlichen Weg gegangen sei, habe dies vor allem in einer Branche für Wachstum gesorgt: Allerorten, so Wüllenweber, entstanden seinerzeit von Arbeitslosen gepflegte Streichelzoos mit knuddeligen Hängebauchschweinen. Viel mehr sei daraus nicht erwachsen. Hartz IV ein „tierisches“ Missverständnis?
Eine Gitarre zeigt die Ungerechtigkeit des Systems
Sicher ist: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Berechnung der Hartz-Sätze ist eine Neubewertung von Hartz durch die Politik fällig. Mit Allgemeinplätzen lässt sich da leicht argumentieren: Arbeit muss sich wieder lohnen. Der Staat kann nicht alles regeln. Jede Arbeit ist besser als keine. Solche Sachen. Dass dagegen der Blick auf den konkreten Einzelfall nicht selten himmelschreiende Ungerechtigkeiten im Namen von Hartz offenlegt, ist schon oft nachgewiesen wurden. Doch der Fall, den Plasberg-Gast Christiane Weimar verkörperte, verdeutlichte mehr: das Versagen und, noch schlimmer, die Gleichgültigkeit der Politik.
Die allein erziehende Mutter zweier Töchter ist Aufstockerin; sie hat eine Dreiviertel-Stelle, der Lohn reicht aber nicht zum Leben, sie bezieht zusätzlich Hartz IV. Als eine ihrer Töchter sich von ihrem zusammengesparten Geld, das sie mit Ferienjobs verdient hatte, eine Bass-Gitarre kaufte, schritt die Behörde ein. Die gut 300 Euro wurden auf die staatlichen Zahlungen angerechnet und der Familie abgezogen. Schon einmal, etwa vor Jahresfrist, hatte der Fall bei „Hart aber fair“ für Empörung gesorgt. Die Politiker-Runde versprach damals eine schnelle Änderung der widersinnigen Hartz-Regel. Der Fall wurde sogar im Bundestag behandelt, Anträge wurden gestellt und abgewiesen. Geändert hat sich seitdem nichts.
Das Mädchen, sagt die Mutter, will in den nächsten Ferien trotzdem wieder jobben gehen.