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Lena Meyer-Landrut soll am 29. Mai Europa verzaubern. Die 18-jährige Abiturientin aus Hannover gewann am Freitagabend den Vorentscheid zum Eurovision Song Contest. Im Finale der Casting-Show „Unser Star für Oslo“ kam bei der Abiturientin ein Vulkan voller Gefühle zum Ausbruch.
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Zitternd kann sich die 18-jährige Sängerin kaum noch auf den Beinen halten: „Das ist so derbe, so fett. Ich möchte heulen, das ist so schön“, schluchzt Lena Meyer-Landrut in die Kameras. Wenige Sekunden vorher hatte sie ihren Namen auf einer großen Leinwand erblickt und damit ihr Ticket nach Oslo gelöst. Die Abiturientin aus Hannover, die bis vor wenigen Wochen noch nie auf einer Bühne stand, wird am 29. Mai beim Eurovision Song Contest für Deutschland singen.
„Verdammte Scheiße – I can go nach Oslo – ich bin völlig fertig mit den Nerven“, stammelt sie während ihres Siegerliedes „Satellite“ bei „Unser Star für Oslo“. So einen Gefühlsausbruch hat es in einer Musiksendung der Öffentlich Rechtlichen Sender schon lange nicht mehr gegeben. Es war die Krönung eines Casting-Show-Abends, der sich von der Spannung getragen zu einem würdigen Finale entwickelte. Die Nervosität aller Beteiligten zu Beginn der Show offenbarte stellvertretend Moderatorin Sabine Heinrich, die die spätere Gewinnerin nicht nach Oslo, sondern nach Stockholm schicken wollte.
Seriöses Format
Doch das konnte den guten Gesamteindruck nicht wesentlich trüben: Als Retter des deutschen Vorentscheids zum Eurovision Song Contest war Stefan Raab angetreten, und schon in den ersten Sendungen heimste er viel Lob für sein seriöses Casting-Format und die musikalische Qualität seiner Kandidaten ein.
Dafür hatte er sich auch auf die historische Zusammenarbeit zwischen seinem Heimatsender ProSieben und der ARD eingelassen. Sichtlich genoss er wie schon im Viertelfinale die eröffnenden Worte: „Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen“. Unterstützung bekam Jury-Präsident Raab diesmal von Xavier Naidoo und „Silbermond“-Frontfrau Stefanie Kloß, die in erster Linie auf das Gefühl und die Leidenschaft bei den Auftritten achten wollten.
Träumerin gegen Rock-Röhre
Dann standen die Kandidatinnen im Mittelpunkt. Im Finale traten zwei 18-jährige Sängerinnen gegeneinander an, die gegensätzlicher kaum sein können. Auf der einen Seite Lena – die sympathisch-verdrehte Träumerin, die mit ihrer fröhlich-verspielten Ausstrahlung das Publikum regelmäßig verzaubert. Und auf der anderen Seite Jennifer – die Rock-Röhre, die es auf der Bühne krachen lässt und anschließend wieder in ihre schüchterne Bescheidenheit zurückfällt.
In der Show präsentierten die Finalistinnen jeweils drei extra neu geschriebene Lieder. Aus einem Pool von mehr als 300 Songs hatte das Raab-Team im Vorfeld einige Favoriten heraus gewählt. Und dabei wurden bewusst die Namen der Komponisten verschwiegen. Es gehe um die Wahl des besten Liedes – das Voting der Zuschauer solle nicht durch irgendwelche Namen beeinflusst werden, schilderte Raab in einem Interview das Konzept.
Bereits zu Beginn der Show wurden hohe Erwartungen geweckt und die Songs als „herausragend“ angekündigt. Doch schon das erste Lied „Bee“ ließ die Erfolgsaussichten für Oslo wieder schwinden. Die seichte Melodie hinterließ zwar einen eingängigen Eindruck, war aber mit dem letzten Ton schon wieder aus dem Gedächtnis des Hörers verschwunden. Der ganze Mut, den die Produzenten der Casting-Show vorher mit dem großen Freiraum für die Künstler bei der Songauswahl bewiesen, hatte sie bei der Auswahl eines Titels wie „Bee“ wieder verlassen.
Professionelle Kandidatinnen
Zu dem Zeitpunkt war bereits klar, dass von der Jury keine große Kritik an dem Abend kommen würde. Bis auf Kleinigkeiten fanden Xavier Naidoo und Stephanie Kloß stets alles super – ganz zu schweigen von Dauer-Lober Raab. Dass „Bee“ bei der rockigen Jennifer aus dem hessischen Rüdesheim eher befremdlich wirkte, wurde geflissentlich übergangen. Und auch die vielseitige Lena konnte sich nur teilweise mit Text und Melodie anfreunden. Positiv war lediglich die Tatsache, wie professionell die beiden 18-jährigen Schülerinnen damit umgingen und trotzdem jeweils einen guten Auftritt zeigten.
Das zweite Lied „Satellite“ gab es in zwei völlig verschiedenen Versionen. Während Jennifer eine Ballade sang, machte Lena aus der Vorlage eine Uptempo-Nummer. Das fanden die Zuschauer so klasse, dass sie dieses Lied schließlich im Telefon-Voting für Lena auswählten. Für die sonst so fröhliche Abiturientin war dies der erste Rückschlag in ihrer steilen Casting-Karriere.
Sie konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen und schaute immer wieder hilfesuchend zu Stefan Raab. Lena hätte viel lieber das dritte Lied „Love Me“ gesungen, das ihr extra auf den Leib geschrieben wurde. In der Tat handelte es sich um die vielleicht anspruchsvollste Komposition, die ein wenig an Jamiroquai erinnerte und dem von Lena so geliebten Sprechgesang viel Raum bot.
„Königin der langen Töne“
Dagegen wählte das Publikum bei Jennifer mit dem rockigen „I Care For You“ das extra für die 18-Jährige komponierte Stück. Stefanie Kloß verlieh ihr prompt den Titel „Königin der langen Töne“. Doch trotz starker Leistungen durch die gesamte Staffel reichte es nicht für die Elftklässlerin. Vielleicht tröstet sie, dass ein Experte wie Musikmanager Thomas M. Stein gute Chancen auf eine Karriere in der Pop-Branche sieht: „Sie lässt sich kommerziell einfacher vermarkten als Lena“, sagte er im DerWesten-Interview.
Doch Massentauglichkeit hat in diesem Fall gegen eine sehr spezielle Persönlichkeit verloren. Um 22:35 Uhr stand am Freitagabend fest: Am 29. Mai soll Lena nun nach Deutschland auch ganz Europa verzaubern. Allein mit ihrer natürlichen Ausstrahlung dürfte sie keine schlechten Chancen haben. Silbermond-Frontfrau Stephanie Kloß würde sich gerne ein Stück von „dieser Leichtigkeit“ abschneiden.
In der Welt der Kobolde
Xavier Naidoo stellte fest, dass Lena die Songs lebe. Ihre große Stärke sei, dass sie auch versteht, was sie singt. Ihre Gefühle drückt sie nicht nur stimmlich, sondern auch mit ihrem gesamten Körpergefühl aus. Da sei immer ein wenig Theater dabei, bemerkte ein abermals sichtlich faszinierter Stefan Raab, der sich bei Lenas Gesang zu einem verzauberten Esoteriker entwickelt habet: Man fühle sich wie zwischen Kobolden, wo alles blüht, schwärmte der Jury-Präsident.
Welche Wirkung Lena international hat, wird sich in Oslo zeigen. Vielleicht wird dann wahr, was Marius Müller-Westernhagen schon nach ihrem ersten Auftritt ankündigte: „Du hast Star-Appeal. Die Menschen werden dich lieben.“