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Da waren es nur noch vier: Sharyhan Osman erhielt beim Viertelfinale der Casting-Show „Unser Star für Oslo“ die wenigsten Stimmen. Die „Rampensäue“ Lena Meyer-Landrut und Christian Durstewitz sind die Top-Favoriten. Bei der Premiere in der ARD zeigte sich Stefan Raab von seiner braven Seite.

Selten hat Stefan Raab wohl seine ersten Worte in einer Show so genossen wie am Freitagabend: „Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit ,Unser Star für Oslo’“. Mit einem leicht unterdrückten Grinsen läutete der Entertainer den nächsten Schritt der historischen Zusammenarbeit zwischen seinem Heimatsender ProSieben und der ARD ein. Nachdem die bisherigen Sendungen der Casting-Show zum Eurovision Song Contest im Privatfernsehen liefen, war das Viertelfinale die Premiere bei den Öffentlich-Rechtlichen.

Wer jetzt erwartet hat, dass Raab sich selbst mit ironischen Bemerkungen feierte, wurde enttäuscht. Lediglich einmal konnte er sein Lästermaul nicht halten. Nach einem platten Seitenhieb - „Adel verpflichtet“ - in Richtung seines Gastjuror Adel Tawil (Sänger von „Ich & Ich“) schoss Raab hinterher: „Hier bei der ARD kannte den noch keiner, hier kann man Witze bringen, die sind vor 20 Jahren schon im Privatfernsehen laufen“. Ansonsten hatte Raab seinen Zynismus scheinbar an der Garderobe abgegeben. Der Jury-Präsident zeigte sich von seiner braven Seite anstatt sich als Retter der ARD und des Grand Prix-Vorentscheids zu feiern.

Der Anfang plätscherte dahin

Leider spiegelte sich die defensive Marschroute Raabs auch im ersten Teil des Abends wieder. Man konnte fast meinen, die Auswahl der ersten Lieder war extra für das ARD-Publikum bestimmt. Die Auftritte plätscherten songtechnisch dahin. Die unbestritten hohen gesanglichen Talente der Kandidaten wurde kaum gefordert.

Sharyhan Osman wirkte mit „You got the love“ zu der Vorlage von „Florence and the Machine” außergewöhnlich blass. Ihrer Version fehlte im Vergleich zu einigen anderen Interpretationen des Songs in der Vergangenheit der nötige Druck bei der Präsentation, um das Publikum zu fesseln.

Die erste 18-jährige Schülerin Jennifer Brown hatte es vor allem als Rock-Röhre ins Viertelfinale geschafft. Diesmal entschied sie sich mit Soulmate von Natascha Bedingfield für eine Ballade, die wieder einmal sehr casting-typisch wirkte. Für ihren gefühlvollen Gesang heimste sie zwar viel Lob ein, aber den Abend brachte sie damit ebenso wenig in Schwung wie die dritte Kandidatin Kerstin Freking.

Anke Engelke nervte mit Wohlfühl-Analysen

Die elfenhafte Studentin aus Osnabrück lieferte mit “If a song could get me you” von Marit Larsen eine hervorragende Leistung ab. Aber sie riss das Publikum auch nicht von den Stühlen. Die Regie hoffte offenbar, mit diesem Schmusekurs das ARD-Stammpublikum am Bildschirm zu halten statt mit extravaganten Performances zu schocken und zu vergraulen. Schließlich hatten sie die beiden verbliebenen Rampensäue Lena Meyer-Landrut und Christian Durstewitz ans Ende verbannt.

Selbst „Dursti“ wurde plötzlich schmusig und entschied sich mit „Ochrasy“ von Mando Diao für eine Ballade. Bei so viel Eintönigkeit rückten zwangsläufig Nebenschauplätze in den Mittelpunkt und damit in diesem Fall Anke Engelke. Die Jurorin hatte sich scheinbar fest vorgenommen, jeden Kandidaten in aller Ausführlichkeit mit ernsthafter, konstruktiver Kritik zu beehren.

Doch als sie bei Christian Durstewitz mit den Worten „Man merkt, wenn Du dich wohlfühlst“ begann, konnte der Zuschauer auf der heimischen Couch nur die Augen verdrehen. Denn auch die drei Damen vor ihm hatte Engelke hauptsächlich auf ihren Wohlfühlcharakter reduziert. Einzig die fehlenden Werbepausen dürften bis dahin dafür gesorgt haben, dass die Umschalt-Quote nicht allzu hoch ausgefallen sein könnte.

Ein bisschen irre

Dass die Show nicht in Tristesse versank, lag an Lena Meyer-Landrut. Im Teaser-Interview vor dem Auftritt zeigte sie sich mal wieder von ihrer sympathisch-irren Seite. „Neue Leute, Kultur, Schock, manchmal aber auch nur gammeln“, schilderte sie ihre Gefühle, seitdem sie bei der Casting-Show mitmacht, mit einem Augenzwinkern.

Anschließend verzauberte sie abermals Jury und Publikum. Wieder entschied sie sich mit „Mouthwash“ von Kate Nash für ein relativ unbekanntes Lied. Das gerät bei der Abiturientin zur Nebensache. Sie lebt die Songs mit jeder Faser ihres Körpers. Die Emotionen des Textes macht sie mit Mimik und Gestik sichtbar. Selbst wenn der Betrachter keine Silbe verstehen würde, wäre er gefesselt von ihrer Ausstrahlung. Auch gesanglich ist sie einzigartig. Durch ihre Atemtechnik singe sie ganz anders, als die meisten anderen, analysierte Raab. „Klar, ich hab schließlich keine Atemtechnik“, gab Lena keck zurück.

Neben der Neuerung, dass jeder Kandidat nun zweimal auftreten musste, hatten die Macher – noch eine zweite Änderung. Diesmal konnten die Zuschauer schon ab der Hälfte der Show für ihren jeweiligen Favoriten per Telefon voten – irgendwie müssen die fehlenden Werbeeinnahmen bei einer Kooperation mit einem Privatsender dann wohl auf einem anderen Weg wieder eingefahren werden.

Adel Tawil bekam etwas Angst

In der zweiten Runde setzte Sharayan Osman mit ihrer Eigenkomposition „Never felt the way, that I feel today” voll auf den Musical-Faktor. Jennifer Brown performte als Rock-Röhre „Nobody’s wife“ von Anouk so intensiv, dass Adel Tawil vor lauter Frauen-Power ein wenig Angst verspürte. Kerstin Freking betonte bei „Somedays“ von Regina Spektor einmal mehr welch wunderbar glasklare Stimme sie besitzt.

Christian Durstewitz bewies, warum er spätestens seit der letzten Show zum Mitfavoriten für die Reise nach Oslo am 29. Mai aufgestiegen ist. Nachdem er am Dienstag den vielleicht genialsten Auftritt der gesamten Casting-Show hingelegt hatte – mit „Dance with somebody“ von Mando Diao – rockte er nun mit einer Eigenkomposition das Publikum nach allen Regeln der Kunst. Zu Beginn von „Stalker“ täuscht er in den ersten paar Versen eine Ballade an, um schließlich einen rockigen Ohrwurm zu zelebrieren.

„Dafür fährst du nach Oslo“

Den Schlusspunkt setzte in ihrer unverwechselbar charmant-eigenwilligen Art Lena Meyer-Landrut mit „Neopolitan Dreams“ von Lisa Mitchell. Wie bei allen anderen Kandidaten sparte die Jury abermals nicht mit Lob. „Dafür fährst du nach Oslo“, legte sich Adel Tawil fest. Doch noch muss Lena zwei Shows überstehen. Schluss war diesmal für Sharyhan Osman – sie erhielt am Ende der Sendung die wenigsten Stimmen beim Zuschauer-Voting.

Ein kurzer Ausblick auf das Halbfinale am kommenden Dienstag: Jennifer und Kerstin können einem ein wenig Leid tun. In jeder anderen Casting-Show würden sie bei ihren Qualitäten locker alle anderen hinter sich lassen – aber bei der starken Konkurrenz durch Dursti und Lena müssen sie bei der Songauswahl wohl absolute Volltreffer landen, um einen der beiden Plätze für das Finale zu ergattern.