Essen. Der Medienforscher Robin Meyer-Lucht hat unmittelbar vor der Entscheidung über eine Vertragsverlängerung von ZDF-Chefredakteur Brender einen zu großen Einfluss der Politik auf öffentlich-rechtliche Sender kritisiert. Er fordert im Gespräch mit Jürgen Overkott eine unabhängige Aufsicht.
Hessens Ministerpräsident Roland Koch will eine weitere Amtszeit von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender verhindern. Darf der das?
Robin Meyer-Lucht: Es ist im ZDF-Staatsvertrag vorgesehen, dass der Verwaltungsrat – und Koch ist Vize – Brenders Vertrag mit Drei-Fünftel-Mehrheit zustimmen muss. Es zeichnet sich ab, dass es dort keine Mehrheit für eine Vertragsverlängerung von Brender gibt. Das hat einen Grund: Die CDU-Mehrheit in diesem Gremium ist unzufrieden damit, wie Brender mit milder politischer Einflussnahme umgeht.
Was bedeutet der Streit für Senderchef Markus Schächter?
Meyer-Lucht: Er hat sich entschieden, Brender auf jeden Fall noch einmal vorzuschlagen. Sollte Brender abgelehnt werden, muss sich der Intendant überlegen, ob er so von der Politik vorgeführt werden möchte.
Das Verfassungsgericht verlangt Staatsferne vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, also von ARD, ZDF und Deutschlandfunk.
Meyer-Lucht: Das Gericht will verhindern, dass einzelne Gruppen das Programm einseitig beeinflussen. Machen wir uns nichts vor: Die Öffentlich-Rechtlichen stehen unter erheblichem Einfluss der Großparteien und der Staatskanzleien. Das ist immer weniger akzeptabel in einer immer vielfältiger werdenden Mediengesellschaft. Sollte sich Koch durchsetzen, wäre deutlich, wer wirklich die Macht beim ZDF hat. Doch selbst wenn Brender gewählt würde, bliebe das Problem der mangelnden Unabhängigkeit bestehen.
Quote oder Qualität
Koch wirft Brender vor, die RTL-Nachrichten seien erfolgreicher als „heute“. Was ist davon zu halten?
Meyer-Lucht: Herr Koch hat augenscheinlich andere Probleme mit Brender als die Quote der Nachrichten. Er braucht aber das Argument, um seine eigentlichen Motive zu bemänteln. Denn gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen geht es eher um Qualität als um Quote. Das Quoten-Argument selbst hält einer näheren Prüfung nicht stand.
Als Kompromiss wird gehandelt: Brender macht nur ein Jahr weiter statt wie üblich fünf. Wäre das schlau?
Meyer-Lucht: Eine Verlängerung um fünf Jahre wäre in der aktuellen Situation angebracht. Aber egal ob er ein Jahr bleibt oder fünf Jahre – das Grundproblem bleibt: Gerade beim ZDF hat der Staat zu viel Einfluss. Im Fernsehrat gibt es 77 Mitglieder, von denen die meisten einer Partei zuzuordnen sind, im Verwaltungsrat es 14 Mitglieder, die alle zu Rot oder Schwarz gehören. Auch in der ARD gibt es parteipolitische Seilschaften mit hohem Einfluss. Diese Verhältnisse sind nicht mehr zeitgemäß.
Theorie und Praxis
Fernsehrat, Verwaltungsrat – was machen die?
Meyer-Lucht: Die Gremien sollen die Interessen der Allgemeinheit gegenüber den Sendern einbringen. Der Fernsehrat kümmert sich um das Programm, der Verwaltungsrat um Personalfragen. Soweit die Theorie. In der Praxis ist der Fernsehrat viel zu groß, und die machtpolitisch wirklich entscheidenden Fragen klärt der Verwaltungsrat.
Im Fernsehrat findet man vor allem organisierte Interessenvertreter, wie Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Kirchen, Umwelt- und Sozialverbände, die im Hintergrund aber auch auf einer parteipolitischen Klaviatur spielen.
RTL und Sat.1 sind staatsfern
Könnte so etwas wie der Fall Brender bei den Privatsendern auch passieren?
Meyer-Lucht: Nein. RTL und Sat.1 gibt es einen derartigen formell abgesicherten Durchgriff der Politik nicht. Die Aufsicht erfolgt extern durch die Landesmedienanstalten. RTL und Sat.1 sind damit so gesehen inzwischen die Speerspitzen des staatsfernen Fernsehens in Deutschland.
Es gibt Leute, die gerade dem ZDF vorwerfen, verfassungswidrig organisiert zu sein. Muss das Verfassungsgericht der Politik auf die Finger klopfen?
Meyer-Lucht: Es gäbe zwei Möglichkeiten der Klage: Man könnte den ZDF-Staatsvertrag überprüfen. Das dürfen Bundestag oder Länder. Man könnte aber auch das Verfahren der Vertragsverlängerung überprüfen. Das könnten die Beteiligten, Intendant, Fernseh- oder Verwaltungsrat. Eine Klage beim Verfassungsgericht halte ich für nicht wahrscheinlich. Es wäre schön, wenn die Politik selbst einsähe, dass sich die Verhältnisse verändern müssen – und zwar in der Hinsicht, dass Mitglieder von Regierungen nicht mehr in den Rundfunkgremien sitzen.
Es gibt den Plan, die Landesmedienanstalten zu einer bundesweiten Einrichtung zusammenzufassen, die dann alle Sender und obendrein noch die Telekommunikation beaufsichtigen soll. Eine gute Idee?
Meyer-Lucht: Wir brauchen eine gemeinsame Behörde für die Aufsicht über die privaten Rundfunkanbieter und die Telekommunikation. Darüber hinaus sollten die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre eigene, aber in Zukunft externe und professionelle Aufsicht haben, die durch eine bundesweite Einrichtung unterstützt wird.