Essen. Der Zeitpunkt war perfekt gewählt: Nur wenige Tage vor der Entscheidung über die Zukunft von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender (60) haben sich, bisher einzigartig, gleich 35 deutsche Staatsrechtler in die Debatte eingeschaltet und das Postengeschachere der Politiker kritisiert.

Die 35 Staatsrechtler kritisieren das Gezerre um Brender, angezettelt von Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Die Juristen haben Recht – und es wäre schön, wenn sie auch Recht behielten.

Zu den Unterzeichnern gehört die erste Garde der Staatsrechtler – wie Föderalismusforscher Hans-Peter Schneider aus Hannover, wie Medienrechtler Dieter Dörr aus Mainz, wie Verfassungsrechtler Ulrich Battis aus Berlin. Mit Ausnahme des Verwaltungsexperten Hans Herbert von Armin aus Speyer widmet sich die Expertenrunde eher wissenschaftlichen denn tagespolitischen Fragen.

Doch jetzt mischen sie sich ein, weil sie dem Fall Brender grundsätzliche Bedeutung zumessen. Er sei, schreiben sie, „ein Prüfstein für die Rundfunkfreiheit”. Die Professoren verweisen in ihrem offenen Brief auf das Grundgesetz, das Rundfunkfreiheit vorsieht – und Staatsfreiheit. Der Staat, heißt es, dürfe „inhaltlich keinen Einfluss ausüben”.

Genau das aber will Koch. Hessens Premier firmiert als Vize des ZDF-Verwaltungsrates, der die Personalentscheidung von Intendant Markus Schächter üblicherweise absegnet. Der ZDF-Chef sprach sich für Brender aus. Auch dessen Top-Leute Claus Kleber und Marietta Slomka vom „heute-journal” sekundierten ihrem Chef.

Politik könnte durch Machtverzicht gewinnen

Um Brender loszuwerden, bemüht Koch schrumpfende Quoten der ZDF-Nachrichten. „Um diese Frage aber geht es in Wahrheit nicht”, halten die Juristen gegen. „Es geht schlicht darum, wer das Sagen, wer die Macht hat beim ZDF.”

CDU-Mitglieder im Verwaltungsrat des Zweiten mobben Brender schon lange. Dabei ist der einstige Jesuiten-Schüler aus dem Badischen alles andere als ein Parteigänger. Im Gegenteil: Der ausgesprochen selbstbewusste Wahl-Kölner teilt nach allen Seiten aus.

Im März dieses Jahres, ein Jahr vor Ablauf seines Vertrages, hätte Brender eigentlich erfahren müssen, ob er weitere fünf Jahre amtieren darf.

Daraus wurde nichts. Koch wagte sich im Februar aus der Deckung. Ausgerechnet im Superwahljahr machte er aus der Personalie eine Machtfrage, die das Selbstverständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zutiefst berührt. Nur wenn ARD und ZDF den journalistisch gebotenen Abstand zu den Mächtigen halten, bleiben ihre Nachrichten glaubwürdig.

Dass Koch mit seiner Attacke auch den CDU-nahen ZDF-Chef beschädigte, nahm er in Kauf. Zuletzt stand ein lauer Kompromiss zur Diskussion: Brenders Vertrag sollte lediglich um zwölf Monate verlängert werden.

Der Fall Brender hat aber auch eine gute Seite. Der Machtkampf wirft ein trübes Licht auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrates. Parteiungebunden sind nur wenige Mitglieder: die Vertreter der beiden Kirchen und der jüdischen Gemeinde. Die Politik könnte Glaubwürdigkeit gewinnen, indem sie beim ZDF auf Einfluss verzichtet.