Düsseldorf. Der Kopf des gerade wieder als Ensemble des Jahres ausgezeichneten Rheinopernballetts steht bei der Uraufführung von Hans van Manens Tanz-Petitesse “Alltag“ selbst auf der Bühne. Sein Ensemble tanzt den “b.21“-Abend mit Präzision und Brahms zweiter Sinfonie als Glanzstück.
Der Choreograph sitzt unruhig auf dem Hocker. Den Rumpf nach vorn gebeugt, die Schulter hochgezogen, die Hände fragend gen Himmel gestreckt. Zornig springt er auf, vollführt einige zackige Drehungen und angedeutete Sprünge. Unzufrieden mit sich, kehrt er unvermittelt auf den Hocker zurück, schaut seiner Muse zu. Nickt. Es ist gut so. Vorerst, zumindest.
Als feinfühliger Suchender und ewiger Wanderer – so deutet Hans van Manen das Leben eines Chefchoreographen, dessen Nerven häufig blank liegen, da er als Ballettdirektor auch über das Schicksal von 48 Tänzern bestimmen muss. Zu erleben in seinem neuen Stück „Alltag“, das er mit und für Martin Schläpfer kreierte.
Mit dieser Hommage an einen Freund bricht der niederländische Altmeister seiner Gewohnheit, Tanzstücke nur vom Nederlands Dans Theater uraufführen zu lassen. Eine doppelte Premiere also beim neuen Ballettabend „b.21“.
Jubel für eine Petitesse
Der Jubel in der Düsseldorfer Rheinoper war groß. Er dauerte fast so lange wie die Miniatur selbst. Erstaunlich. Denn van Manen, der sich mit 82 nichts mehr beweisen muss, liefert mit „Alltag“ nicht mehr als eine Petitesse von knapp 15 Minuten. Er kreiert die Eingangsszene mit Schläpfer im leeren Ballettsaal. Einziges Requisit: Ein rotes Ariadne-Seil baumelt vom Schnürboden herunter. In diese knapp skizzierte Szene mischt er Zitate aus Schläpfer-Werken, aus Mahlers Siebter Symphonie, „7“, und Bachs „Partita 6“. Der Choreograph probt mit seiner Lieblings-Solistin Marlúcia do Amaral einen Pas-de-deux. Im Dunkeln verschwinden die beiden, werden abgelöst von dem jungen Paar Doris Becker und Alexandre Simoes.
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So beleuchtet „Alltag“ kurz den Zustand des früher exzellenten Tänzers Martin Schläpfer, der mit 55 eben nicht mehr über Sprungkraft, Geschmeidigkeit oder Pirouetten-Brillanz eines Mitt-Zwanzigers verfügt. Stattdessen nutzt er sein Wissen über Bewegungsabläufe und körperliche Möglichkeiten und Grenzen für den Schöpfungsakt. Bei aller Melancholie gleitet das Tanz-Stückchen nicht etwa ab in depressive Suche nach verlorener Jugend, sondern versprüht hintergründige Heiterkeit und Ironie, à la van Manen.
Liebliche Ungeheuer
Ganz neoklassisch und in Bestform zeigt sich das Ballett am Rhein, kürzlich zur Kompanie des Jahres gekürt, in den Eckstücken von „b.21“. Zunächst in dem Klassiker von 1935, Tschaikowskis Streicherserenade von Balanchine, das bereits 2010 auf dem Programm stand. Hier geht’s um Ballettpräzision, gestochene Linien, Diagonalen und schwerelosen Spitzentanz. All das bietet Schläpfers sportlich getrimmtes Ensemble nicht in absoluter Perfektion, es hat sich aber deutlich verbessert – besonders in den. Standbildern und Balancen in Sylphiden-Tütüs, die den Traum vom „Weißen Ballett“ beschwören.
Das Glanzstück des Abends ist Schläpfers neuromantische Deutung von Brahms’ Zweiter Symphonie, 2013 in Duisburg aus der Taufe gehoben und sicherlich eines der betörenden Neoklassik-Schöpfungen des Schweizers. In schwarz-weiß-grauen Ganzkörper-Trikots entführen sie in die Zauberwelt von Wellen und Wogen des Wörthersees, wo Brahms 1877 dieses Opus schuf. Die Tänzer nehmen den musikalischen Fluss in rasantem Tempo und in luftiger Höhe auf, bäumen sich dann gegen Schwansee-Idylle auf und mutieren zu erdigen Geschöpfen. Schläpfers „rheinische Antwort auf den Schwanensee“ (WAZ-/NRZ-Online 3.2.13) überzeugt mit dem stark verjüngten Ensemble noch mehr als vor knapp zwei Jahren. Seine lieblichen Ungeheuer lassen in 40 Minuten nicht locker bei ihrer Suche nach Liebe und Geborgenheit.
Termine: 25./31. Oktober, 2., 6., 8., 21., 23., 27. November. Karten: 0211 / 89 25-211