Essen. . Sind Geschichten des Krieges nichts für Kinder? Oder kann man nicht früh genug anfangen, auch ganz junge Menschen mit diesen Abgründen zu konfrontieren. 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges zeigen ganz unterschiedliche Bücher zum Thema, wie eine Annäherung funktionieren kann.
Der Erste Weltkrieg scheint weit entfernt zu sein. Dass aber unsere heutige Vorstellung von Frieden und Freiheit auch eine Konsequenz aus dieser Zeit vor 100 Jahren ist, zeigen aktuelle Bücher für junge Leser. Eine Auswahl.
Das wahre Gesicht des Krieges
Der eine will endlich mal unter dem Eiffelturm stehen. Der andere möchte ein Abenteuer erleben. Der nächste, wie der 17-jährige Ferdinand Frenzel, will bewundert werden wie ein Fußballspieler auf dem Feld. Dass Krieg auch Töten heißt, ist den Menschen 1914 bewusst. Aber Krieg gehöre nun mal zum Leben, das Vaterland müsse verteidigt werden, und selbst wenn man sterben sollte, es wäre immerhin der Heldentod. Elisabeth Zöller lässt die jungen Leser die anfängliche euphorische Stimmung spüren, bevor sie im Schützengraben in Belgien die Erkenntnis trifft: Der Krieg ist ein Menschenfresser (Hanser, 15,90 €, 280 S., ab 14). Mit Fotoapparat und Tagebuch will Ferdinand nun das wahre, grässliche Gesicht des Krieges zeigen. Und muss deswegen mehr die eigenen Landsleute als die Franzosen fürchten.
Der Roman zeigt vielschichtig den Schrecken des Krieges, ohne zu verstören. Zöller vermittelt die Werte der damaligen Zeit, die politischen Entwicklungen und lässt den Leser fragen: Wie hätte ich mich entschieden?
Ein Glossar erklärt Wörter und Personen, wie „Freikorps“ und „Karl Liebknecht“. Sie sind im Text gefettet und ermöglichen so ein einfaches Nachschlagen. Nur das Buchcover – ein träumendes Mädchen mit Zöpfen – passt nicht so recht zu diesem packend geschriebenen Roman, der auch Jungen anspricht.
Aus Feinden werden Verwandte
Géraldine Elschners Großväter lagen beide im Ersten Weltkrieg in den Schützengräben in Belgien. Der eine auf deutscher Seite, der andere auf französischer. Da konnten sie noch nicht ahnen, dass sich ihre Kinder eines Tages ineinander verlieben und sie eine gemeinsame Enkeltochter haben werden. Diese Geschichte ist eine von vielen, die autobiografische Züge tragen oder sich einfühlen in die Menschen, die vor 100 Jahren gekämpft haben – gegen den Feind, die Mächtigen, den Hunger. Alexandra Rak hat sie in einem Buch gesammelt: Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen (KJB, 16,99 €, 317 S., ab 12).
Namhafte Jugendbuchautoren erzählen: Kirsten Boie erinnert etwa an den kurzen Frieden an Weihnachten 1914, als französische und deutsche Soldaten miteinander „Stille Nacht“ sangen. Nicht alle Beiträge sind gleich stark. Und doch beleuchten sie auf unterschiedliche Weise das Geschehene. Soldatenfotos, Feldpost oder eine Todesanzeige geben weitere Einblicke. Sowie eine Zeitleiste am unteren Seitenrand, die sich durch das ganze Buch zieht und mit den Worten beginnt: „6. Oktober 1908: Österreich-Ungarn annektiert die Länder Bosnien und Herzegowina.“
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Die Macht der Worte
„Die einfachen Soldaten müssen ihre Pflicht tun. Wo kämen wir hin, wenn jeder tut, was er will?“ Solche Reden hört Paul, in einer Zeit, in der es keine Meinungs- und keine Pressefreiheit gibt, in der Gehorsam und Standesunterschiede mehr zählen als Bildung. Der Vater kämpft in Ostpreußen, der Bruder Max in Belgien. In einem unzensierten Brief des Bruders liest Paul andere Wörter: Schreie, Mörder, Leichen. Paul fängt an, sich sein eigenes Urteil zu bilden. Und fragt sich, ob er dafür mutig genug ist. Zeit der großen Worte (Gerstenberg, 14,95 €, 315 S., ab 14) heißt der Roman von Herbert Günther, der mit seinem Buch einerseits berührt, andererseits viel von der deutschen Geschichte erzählt – ergänzt um eine Zeittafel und ein Glossar.
Ein Blick nach England
John Boyne, der den erfolgreichen Holocaust-Roman „Der Junge im gestreiften Pyjama“ geschrieben hat, schildert aus der Sicht eines Neunjährigen. Dessen Vater zieht in den Krieg, während die Nachbarn eingesperrt werden, weil sie Verräter oder deutsch sein sollen. Die einfühlsam erzählte Geschichte So fern wie nah (KJB, 12,99 €, 254 S., ab 12) spielt in England. Sie zeigt: Die Euphorie war dort am Anfang und die Angst ums Leben am Ende genauso groß.
SACHBUCH-TIPP:
Nikolaus Nützels Opa war Soldat im Ersten Weltkrieg. Mit den persönlichen Erinnerungen und gut vermittelten Fakten bringt er den Lesern die Zeit von damals näher und zeigt, wie viel die Geschichte mit uns heute zu tun hat. Dabei ermutigt er Kinder, politische Ansichten und Entscheidungen zu hinterfragen.
Das gut bebilderte Sachbuch Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg (Ars-Edition, 14,99 €, 145 S., ab 12) ist zu Recht für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.