Duisburg. . Dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt, ist eine Binse. Doch auch diesesGebäude trägt schwer an seiner Last, ein Skandalbau zu sein. Während also das neue Landesarchiv am Duisburger Innenhafen im engen Umfeld vor allem mit Korruption assoziiert wird, feiert man den Bau im Ausland.

Statt eines Skandalbaus ist das Landesarchiv NRW im Ausland als architektonisches Juwel bekannt. Dort erfindet man klangvolle Namen wie „Gedächtnisstütze“, „Tresor der Geschichte“ oder spricht, wie die Spanier, vom „Totem de terracota“. Duisburg hat ein neues Wahrzeichen.

Vergessen wir also kurz, dass aus 30 Millionen 198 wurden. Vergessen wir Begriffe wie Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) oder Untersuchungsausschuss. Blicken wir einfach unvoreingenommen auf dieses Gebäude, das schon von der A 40 aus deutlich zu erkennen ist. Mit einem backsteinernen Turm, der sich wie das Idealbild eines Hauses, wie gemalt von Kinderhand, in den Himmel reckt. Mit seinem wellenförmigen Appendix, der sich entlang der Straße schlängelt.

Die Mühlenwerke und Speicher des Duisburger Innenhafens galten einst als Zentrum des deutschen Getreidehandels, danach waren sie beinahe schon dem Abriss preisgegeben und im letzten Moment gerettet. So wandelten sie sich in den vergangenen Jahren in Museen, Restaurants, Büros und nun mit diesem letzten, mit dem erst 1936 erbauten Speichergebäude in ein Archiv.

Die Wiener Architekten Ortner & Ortner bewahrten dabei so viel wie möglich, setzten dem alten Backsteinbau mittig allerdings einen Turm auf. Über 70 Meter ist der hoch, um seine Aufgabe zu meistern, eben 148 Regalkilometer Archivmaterial zu beherbergen. Und mit seinem Satteldach und den Ziegeln im alten Reichsformat 25/12/6,5 Zentimeter nimmt er ganz bewusst die Formensprache des alten Speichergebäudes auf. Einzig die Farbe erscheint anders. Heller, roter, frischer eben. Doch der Schein trügt. Auch der Ton ist identisch. In ein paar Jahren zunehmend verwittert, werden sich die neuen den alten Steine angleichen.

Jedoch reichte selbst der Turm mit seinen 22 Stockwerken nicht aus, all die Urkunden und Akten der ehemaligen Territorien und Herrschaften, der Klöster und Stifte der preußischen Rheinprovinz unterzubringen. „Das Grundstück insgesamt ist schmal und nicht besonders lang. Wir fragten uns, wie wir die nötige Masse an Baufläche auf das Grundstück bekommen sollten“, erzählt Christian Heuchel, Architekt und Geschäftsführer von Ortner & Ortner und: „Es entstand die Idee, den Anbau zu stauchen, durch Schlangenlinien mehr Fläche zu gewinnen.“ Tatsächlich schufen die Architekten so 20 Prozent zusätzliche Baufläche. Die Welle war geboren, ein Gegenpol zum Turm.

Der Turm wurde verriegelt

Der Turm indes wurde hermetisch verriegelt. Um in ihm eine optimale Klimatisierung für die Archivalien zu gewährleisten, wurden sämtliche Fenster und Türen mit Ziegeln geschlossen und die Wände zusätzlich verstärkt, gedämmt. Christian Heuchel nennt das eine passive Klimatisierung. 18 Grad und 54 Prozent Luftfeuchtigkeit gilt es zu erreichen und zu halten, weshalb notfalls noch eine Klimaanlage eingeschaltet werden kann.

Eindrucksvoll auch das Foyer des neuen Archivs mit dem hohen, sich zum Innenhafen öffnenden Eingang. Galerieartig liegen die vier Geschosse des Wellen-Appendix übereinander. In die Außenmauer des alten Speichers wurden drei gigantische, übereinander gestapelte Bullaugen geschnitten, die dem Besucher einen Blick in den schwarzen Raum, in den Archivturm gewähren.

Rechts, im Erdgeschoss, liegen der große Veranstaltungssaal und, wichtiger noch, der Lesesaal mit 45 PC-Arbeitsplätzen. Große Fensterscheiben öffnen den Blick auf das Wasser im Hafenbecken, Richtung Salvator-Kirche und Rathaus. Ein schönes Ambiente, auch wenn jene, die im Saal sitzen, sich eher auf ihre Materialien konzentrieren werden. Seit Mai ist das Haus geöffnet, suchen hier Familienforscher, Doktoranden, Historiker oder Journalisten nach Akten und Urkunden.

Durch das Kellergeschoss ziehen sich weitere Archivräume mit Rollregalen, in den oberen Etagen liegen die Büros und die Werkstätten der Restauratoren. 110 Mitarbeiter haben hier ihre Arbeitsplätze. Eine Dreiviertelstunde dauert es, bis das erwünschte Forschungsobjekt bestellt, in den Regalen und brandsicheren Din-A-4-Kartons geortet und über die das Haus durchziehende Förderanlage zum Leser transportiert wird.

In diesen Räumen wird der Alltag von Millionen Menschen gesammelt und bewahrt, hier liegen Urkunden aus dem 7. Jahrhundert und irgendwann einmal auch die digitalisierten E-Mails von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Demokratie erfordert Transparenz, darüber lässt sich schwerlich streiten. Christian Heuchel, der Architekt, sieht allerdings in der Hermetik des neuen Archivturms, in seiner Abgeschlossenheit nach außen, auch eine Reaktion auf die neue Zeit, auf den NSA-Spitzelwahn. „Wir müssen unsere Demokratie schützen“, sagt er.

Korruptionsskandal wirkte sich auf Architektur aus

Der Korruptionsskandal, die Ungereimtheiten beim Grundstückskauf, blieben nicht ohne Folgen für die Architekten. Aus Kostengründen verzichteten sie darauf, den Anbau mit Ziegeln zu verkleiden, ließen ihn stattdessen rot verputzen. Heuchel: „Uns wurde klar gemacht, das Projekt drohe sonst zu scheitern.“