Essen. . Die Stimme Südafrikas: Der Kampf gegen die Apartheid prägte das Werk Nadine Gordimers. Die Entwicklung ihres Landes begleitete sie in ihrem Romanen mit scharfem Blick und scharfer Zunge. 1991 erhielt sie als erste Frau in Afrika den Literaturnobelpreis.
Sie sei „eine überzeugte Optimistin“, sagte Nadine Gordimer in einem ihrer letzten Interviews – aber „eine realistische“. Und wenn ihre Heimat Südafrika nun „die Folgen von drei Jahrhunderten Rassismus ausbügle“, dann wäre das nicht in weniger als einer Generation zu schaffen: „Ganz Südafrika leidet unter einem nationalen Kater.“ Am Sonntag starb die 90-Jährige in ihrem Haus in Johannesburg: Die Stimme Südafrikas, eine Literaturlegende, die mit Werken wie „Burgers Tochter“, „Der Besitzer“ oder „Julys Leute“ den Wandel ihres Landes begleitete– und die erste Frau, die in Afrika mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde.
1923 wurde Nadine Gordimer in Südafrika geboren, Tochter jüdischer Einwanderer. Sie wuchs behütet auf, und wurde, als Folge einer vermuteten Herzschwäche, lange Zeit daheim unterrichtet. Dies gab ihr die Gelegenheit zum intensiven Literaturgenuss, der sich früh in eigenen Versuchen niederschlug: Die erste Kurzgeschicht veröffentlichte Gordimer mit 14 Jahren. „Als ich 13 war, habe ich vom gesparten Geburtstagsgeld meine erste Schreibmaschine gekauft“, erinnerte sie sich. So sehr sie auch vom Leben jenseits der weißen südafrikanischen Minderheit abgeschirmt sein mochte: die Ungerechtigkeiten des Apartheid-Regimes sollten ihr Werk von Beginn an bestimmen.
Massives Eintreten gegen Rassentrennung
So weist ihr Romandebüt, „Entzauberung“, den sie kurz nach der Scheidung von ihrem ersten Ehemann veröffentlichte, nicht nur stark autobiografische Bezüge auf, sondern bereitet zugleich den Boden für alles, was literarisch folgen sollte. Ich-Erzählerin Helen Shaw wächst wie Nadine Gordimer in einer weißen Mittelstandsfamilie heran, verlässt im Streit ihr Elternhaus und hilft in Johannesburg der notleidenden und unterdrückten schwarzen Bevölkerung – deren Leid ihr eigenes, eigentlich liberales Umfeld kaum wahrzunehmen scheint.
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Später sollte ihr massives Eintreten gegen die Rassentrennung und für freie Meinungsäußerung ihr wiederholte Publikationsverbote eintragen. Doch in Rückschau sieht Gordimer, die nach dem Ende der Apartheid UN-Sonderbotschafterin wurde, die Zeit der Bedrohung mit Gelassenheit: „Im Vergleich zu anderen hatte ich immer unverschämtes Glück. Ich saß ja nie im Gefängnis“, sagte sie einmal, und: „Anderen haben die Bomben des Apartheid-Terrorkommandos Arme oder Beine weggesprengt.“
Letzter Roman erschien 2012
Ein Satz, so trocken und lakonisch wie auch ihr Werk. Wie ihre Romane, die niemals Schwarz-Weiß-Bilder sind, sondern die Entwicklung der südafrikanischen Gesellschaft mit ironischen, zuweilen bissigen Kommentaren begleiten. Bereits 1974 erhielt Gordimer, die neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit drei Kinder großzog und sich selbst als „working mum“ bezeichnete, den renommierten Booker Prize. 1985 verlieh ihr die Stadt Dortmund den Nelly-Sachs-Preis. Und 1991 wurde ihr Werk mit dem Ritterschlag des Literaturnobelpreises geehrt – kurz nach dem Ende der Apartheid war dies zugleich eine tiefe Verbeugung vor ihrem Engagement, das beharrlich, beständig und zäh auf die Freiheit hingearbeitet hatte.
Zäh und beständig war Gordimer auch im Privaten. Im Jahr 2001 starb ihr zweiter Ehemann, der einst aus Nazi-Deutschland geflohene Kunstsammler und Mäzen Reinhold Cassirer. Ein Schicksalsschlag, war er doch auch ein literarischer Gefährte, wie Gordimer damals bekannte: „Er war der Erste, der meine Romane las.“ Und doch schrieb sie weiter, auch ohne seine Unterstützung. Noch 2012 erschien ein neuer Roman: In „Keine Zeit wie diese“ brachte sie auch die Enttäuschung vieler Südafrikaner zum Ausdruck, denen der Wandel hin zur wahrhaft freien Gesellschaft nicht schnell genug ging.