Essen. In der Klassik ist er ein Allrounder. Doch das einstige Wunderkind am Klavier hat wenig Zeit, die große Literatur ausgiebig zu studieren. Das hörte man Daniel Barenboims nicht ganz überzeugendem Konzert beim Klavier-Festival Ruhr an, wie unser Kritiker Martin Schrahn meint.

Daniel Barenboim glänzte einst als pianistisches Wunderkind. Heute, mit 71, sind seine Verpflichtungen immens. Mit der Gründung des West-Eastern Divan Orchestra hat er sich der Lebensaufgabe des musikalischen Friedensbotschafters verschrieben; in dieser Funktion wirkt er auch für die UN. Doch das Klavierspiel hat der Künstler nie aufgegeben. Was ein Dilemma in sich birgt: Die Zeit zum Üben ist denkbar knapp. So dass Versuche, an den alten pianistischen Glanz anzuknüpfen, stets ein wenig enttäuschen.

Das zeigt nun Barenboims Gastspiel beim Klavier-Festival Ruhr. Drei Schubert-Sonaten hat er im Gepäck, und das Publikum in Essens Philharmonie muss Geduld aufbringen, um dem Pianisten beim Zelebrieren der Musik zu folgen. Barenboim scheint jede Note zu wenden und zu betrachten, sich gern auf Inseln von leisem Schönklang aufzuhalten. Der Solist will dabei gelöst wirken und hat doch Mühe.

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Oft überlagern sich Stimmen, die der Trennschärfe bedürften. Barenboim reizt dynamische Spannungen aus, aber das wirkt aufgesetzt, weil sich nicht eins aus dem anderen entwickelt. Schuberts oft volksliedhafte musikalische Linien wiederum zerfallen unter des Pianisten analytischem Zugriff. Exemplarisch für dies alles steht die „Gastei­ner“ Sonate, deren Verläufe bisweilen im pedalverstärkten Klangnebel mehr in sich kreisen denn fortschreiten. Und die teils griffige, akzentuierte Akkordik zeugt von Anstrengung.

Die Aura drängt manches Defizit zurück

Das Phänomen dabei aber ist, dass die Aura des Pianisten, einerseits verbunden mit huldvollen Gesten, andererseits gespeist aus dem Wissen um seine Musikalität, manches Defizit zurückdrängt. Gleichwohl: Der Applaus ist herzlich, aber enden wollend. Keine Zugabe.